Home-Learning funktioniert nicht für alle
Christiane Spiel, Bildungspsychologin und Studien-Co-Autorin, über die Studie "Lernen unter Covid-19" der Fakultät für Psychologie der Uni Wien
vom 03.06.2020
Frau Spiel, wie lauten die zentralen Ergebnisse der Studie?
Christiane Spiel: Die gute Nachricht ist, dass sich mehr als zwei Drittel der Schüler und Schülerinnen trotz der aktuellen Umstände wohl fühlen und etwa achtzig Prozent optimistisch für die Zukunft sind. Wenig erfreulich ist, dass jeder sechste Befragte angibt, für schulbezogene Aktivitäten keinen eigenen Computer, Laptop oder kein Tablet zur Verfügung zu haben, und jeder fünfte in der Familie keine Unterstützung beim Lernen erhält, wenn sie gebraucht wird.
Wie sehen die großen Herausforderungen für die Schüler aus?
Spiel: Gerade die selbstständige Auseinandersetzung mit dem Lernstoff finden viele derzeit besonders schwierig. Drei von fünf erhalten beim Lernen aber Unterstützung durch die Familie, hauptsächlich durch ihre Mütter. Viele berichten auch von Zuwächsen bei EDV-Kenntnissen und der Selbstorganisation.
Wie funktioniert die digitale Zusammenarbeit zwischen Schülern und Lehrenden?
Spiel: Insgesamt fühlen sich die Schüler gut von ihren Lehrpersonen unterstützt. Nur drei Prozent geben an, dass sie nicht wissen, wie sie diese bei Fragen erreichen können. Allerdings wünschen sich viele ein schnelleres Feedback auf Aufgaben sowie Hilfestellung bei der Strukturierung des Lernalltags und Unterstützung im Umgang mit dem Computer. Sie regen auch an, sämtliches E-Learning einheitlich auf derselben Lernplattform zu organisieren.
Gibt es Risikofaktoren und Gruppen?
Spiel: In unserer Studie haben sechs Prozent ein niedriges Wohlbefinden angegeben. Diese Risikogruppe ist wenig sozial eingebunden und beschreibt sich als wenig erfolgreich in der Bewältigung der schulischen Anforderungen beim Home-Learning. Positiv überrascht hat uns die hohe Beteiligung an der Studie, mehr als 25.000 Schüler haben den Fragebogen ausgefüllt. Aufgrund der freiwilligen Teilnahme ist unsere Stichprobe aber nicht repräsentativ für die gesamte Sekundarstufe. Es gibt auch Schüler, die keinen Internetzugang haben oder nicht über ein entsprechendes Endgerät verfügen. Des Weiteren ist anzunehmen, dass jene, die mit dem Lernen gar nicht zurande kommen, seltener den Fragebogen ausgefüllt haben als solche, denen das gut gelingt. Es ist darum davon auszugehen, dass diese Risikogruppe unterschätzt wird. Vorsichtig hochgerechnet, könnten sich bis zu 45.000 Schüler und Schülerinnen in einer solchen Situation befinden. Daher ist es umso wichtiger, gezielte Informationen über diese Gruppen zu sammeln.
Es wird über eine mögliche zweite Ansteckungswelle gesprochen: Wie müsste man den Schulbetrieb in Österreich aus Ihrer Sicht darauf vorbereiten?
Spiel: Insbesondere sollte die Selbstorganisation des Lernens einen stärkeren Fokus erhalten. Dazu müssen die Erfahrungen beim Home-Learning - inklusive des digitalen Lehrens und Lernens -systematisch aufgearbeitet und reflektiert werden.