WAS AM ENDE BLEIBT

Licht & Mord

ERICH KLEIN
vom 08.07.2020

Letzte Worte haben vom Ende her Bedeutung. Danach kommt nichts mehr. Soweit bekannt, folgte, abgesehen von der Gründung einer Religion, auf Jesu Christi "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" keine Antwort. Sokrates galt als Verführer der athenischen Jugend und verabschiedete sich von der Welt laut Platon rätselhaft: "O Kriton, wir sind dem Asklepios einen Hahn schuldig." Niemand würde Ärzten neudeutsch die "Wertschätzung" versagen, aber einen Hahn opfern? Die Welt dreht sich mit Galileos "Sie bewegt sich doch" weiter und begnügt sich mit Mythen wie dem Wort des dreiundachtzigjährigen Goethe: "Mehr Licht!"

War nicht ohnehin Aufgabe der Literatur, wenn sie denn eine hat, vorletzte Worte, also einen möglichst langen Weg bis zum Ende zu finden? Am Ende seines mühsamen Ganges durch die "Göttliche Komödie" beginnt Dante beim Anblick eines Lichtpunktes zu stammeln. Es handelt sich um jene Art von Regression, wie sie in Faust II explizit gemacht wird: "Das Unbeschreibliche, / Hier ist's getan; Das Ewig-Weibliche /Zieht uns hinan." Realistischere Geister unter den Autoren, von Daniel Defoe bis Peter Handke, verwiesen im Wissen um die Begrenztheit ihrer sprachlichen Mittel darauf, sie würden bei anderer Gelegenheit noch Genaueres mitteilen Diese drei Punkte mit Verweis aufs Offene setzt auch Georg Büchner ans Ende seiner Erzählung "Lenz", um einen modernen Seelenzustand zu artikulieren: "So lebte er hin "

Da die Frauen der Literatur bis ins 20. Jahrhundert meist ohne eigene Stimme vorkommen, gilt: Die Heldin wird im letzten Akt geopfert. Madame Bovary und Anna Karenina enden tragisch. Zu den Gründen für Effi Briests Siechtum zum Tode hat ihr Autor Theodor Fontane selbstkritisch gemeint, dies sei ein "zu weites Feld". Der lakonische Exitus des Großmeisters endlos hinausgezogener Theaterschlüsse, Anton Tschechow: "Ich sterbe!" Anders als Dante, der vor übergroßer Helligkeit verstummte, verschlug es den Autoren des 20. Jahrhunderts ob der Gräuel der Welt die Rede. Allein der letzte Satz von Franz Kafkas 1914/15 entstandenem Roman "Der Proceß" vermochte noch eine Art metaphysischer Gültigkeit zu evozieren: "Wie ein Hund! sagte er, es war, als sollte die Scham ihn überleben." Das Ende von Ingeborg Bachmanns Roman "Malina":"Es war Mord."

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