HORT DER WISSENSCHAFT

Verdeppung?

MARTIN HAIDINGER
vom 08.07.2020

Dehydration ist eine schlimme Sache und vor allem für alte Menschen eine Gefahr. Sagt man doch von ihnen, dass sie austrocknen, weil sie zu wenig trinken, also buchstäblich versteppen. Bei anderen Menschen dagegen liegt der Verdacht der Verdeppung näher.

Jesusmarxundmaria, schon wieder so eine morbide Philippika vom alten Kulturpessimisten, höre ich meine speziellen Fans in ihren Kammern jammern. Aber nicht doch! Ich bin, im Gegenteil, wirklich hoffnungsfroh für die Geschichtsschreibung und Politikwissenschaft. Kommende Kollegen dieser Disziplinen werden sich allein bei der Betrachtung des Frühsommers 2020 in Wien schieflachen. Worüber?

Nun, wer da nicht aller die Abenteuer seiner jüngsten Vergangenheit vergessen hat und seinen braven Laptop verleugnet, ehe der Ausschuss dreimal kräht, umrahmt von allgemeiner Amnesie sonstiger, regierender Personen mit und ohne Mundschutz! Oder jene organisierten Favoritner Passantengruppen in vizebürgermeisterlicher Gesellschaft, die sich plötzlich vor Erdogans Wölfen von jenen Bullen beschützen lassen wollen, die sie noch wenige Tage zuvor lauthals zur Hölle wünschten. Liebe Chronisten jederlei Geschlechts: Schnell aufschreiben, damit dieser politische Zwergengarten nicht in Vergessenheit gerät!

Längerfristig auswirken werden sich wohl die Denkmalsturz-und Umbenennungsgelüste. Sie haben neben mancher Bezirksprominenz auch beamtete akademische Fachkräfte gepackt. Freilich sehe selbst ich ein, dass es einiger Korrekturen im Stadtbild bedarf und plädiere in der Leopoldstadt für die "Große Ohrengasse" samt Kurz-Parkzone. Die böse "Kärntner- (voll fascho!) Straße" muss natürlich auch weg. Gemeinsam mit der befriedeten Rotenturmstraße könnte man sie zum "Hebein-Figl-Boulevard" aufwerten samt einem Denkmal der Unbekannten Sperrstunde in der seitwärts abgehenden Annagasse.

Vielleicht fallen uns ja auch noch Sackgassen oder Einbahnstraßen ein, die sich trefflich nach Heroinen und Heroen der jüngeren Zeitgeschichte benamsen lassen; selbst für den einen oder anderen Trampelpfad ließen sich sicher personenbezogene Bezeichnungen finden. In den ausgelagerten Couloirs des Rathauses rauchen wahrscheinlich schon die kreativen Köpfe. Viel dabei trinken, weil eh schon wissen! Nur eine lasst bitte in Ruhe: die Haidingergasse auf der Landstraße! Fiele sie weg, würde nichts mehr an einen der bedeutendsten Geologen des 19. Jahrhunderts erinnern und eine haidingerfreie Zone entstehen, an der nicht einmal dem provinziellsten Bildungsfunktionär gelegen sein kann.

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