WAS AM ENDE BLEIBT

Denk mal

ERICH KLEIN
vom 21.10.2020

Als der Schriftsteller Martin Walser in einer zu Recht kritisierten Rede in Bezug auf den Umgang der Nachgeborenen mit Auschwitz von "Monumentalisierung der Schande" sprach, geriet auch dieses Wort in Verruf. Der antiquierte Ausdruck werde weder der Ermordung der europäischen Juden gerecht, noch entspreche er der auch Nachgeborenen gebotenen Verantwortung für die eigene Geschichte.

Die Zeiten haben sich geändert, derartige Wortklaubereien fanden gestern statt, und der in Wien periodisch wiederkehrende Disput über das Denkmal für Karl Lueger wurde jüngst um das Wort "Schande" bereichert. Kaum origineller als die seit Jahren mit kunstfertigem Ernst vorgebrachten Ideen zur Umgestaltung des Standbildes und die mittlerweile angebrachte Tafel samt Hinweis, dass es sich bei Lueger um den Erfinder christlich-sozialen Antisemitismus und "Lehrer" Adolf Hitlers handle, sprayten Unbekannte "Schande" auf dessen Sockel.

Die Schmiererei wurde mehrfach entfernt und wiederholt - denn die Schande sollte ewig bleiben! Zumindest nach Vorstellung jener Aktivisten, die radikal subversiv ein Absperrgitter zur Seite schoben und das Wort "Schande" mit goldgefärbtem Beton verewigten. Gegen die eher ironische Monumentalisierung der Geschichte gingen Rechte mit Hammer und Meißel zur Verteidigung "ihres" Lueger ans Werk. Bislang letzter Akt im Denkmalstreit: Eine "Schandwache" der Burschenschaft "Hysteria". Karneval.

Ist damit das Ende jener Denkmäler historischer Persönlichkeiten gekommen, die vor allem um 1900 herum von Unterstützerkomitees initiiert wurden? Robert Musil schrieb zu Recht, sie zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie keiner beachtet. Vermutlich ist es eine Ironie der Geschichte, dass das Lueger-Denkmal eine Gruppe von Beachtern fand, die dessen Abbruch verlangt, zu der allerdings auffällig wenige Historiker gehören. Ist der Disput zu wenig komplex?

Von Politikern ist kaum mehr zu erwarten als: Haust du mein Antisemiten-Denkmal, hau ich dein Antisemiten-Denkmal. Wie sagte die kürzlich verstorbene, aus Wien stammende Schriftstellerin Ruth Klüger? "Ich komme nicht aus Auschwitz, ich komme aus Wien." Klüger war nach dem Krieg Studienkollegin von Martin Walser gewesen.

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