FREIBRIEF

Mehr Freiheit

FLORIAN FREISTETTER
vom 21.10.2020

Wenn ich während meiner Arbeit als Wissenschafter etwas gelernt habe, dann ist es das Lernen selbst, da nach dem offiziellen Studienende das Lernen erst beginnt. Bevor man nämlich mit der Forschung an einem konkreten Projekt beginnen kann, muss man zunächst recherchieren, was alles bisher dazu erarbeitet wurde. Man kämpft sich durch die Fachliteratur und trifft dabei zwangsläufig auf neue Konzepte.

Um neue Ideen umzusetzen, benötigt man sehr oft auch neue Methoden. Man muss zum Beispiel lernen, neue Computerprogramme zu verstehen oder überhaupt erstmalig selbst zu programmieren. Neue Instrumente müssen konstruiert, installiert und verstanden werden. Das lebenslange Lernen ist deshalb in der Wissenschaft Alltag.

Dieses arbeitsbedingte Faktum ist mitunter auch der Grund für viele Missverständnisse im Kontakt zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Denn wer ständig lernt, lernt und entdeckt dabei auch immer wieder neue Dinge, weshalb Forschende ab und zu ihre Meinung ändern bzw. revidieren (müssen). Für viele von ihnen ist es deshalb schwierig zu verstehen, dass andere Menschen dies nicht tun.

Anhänger von Verschwörungsmythen etwa "lernen" nur so lange, bis sie ausreichend viele "Fakten" entdeckt haben, die eine Meinung, die sie sowieso schon hatten, zu bestätigen scheinen. Weitere "Recherchen" erfolgen selektiv und dienen nur zur Verstärkung dieser Meinung, ohne je zu einer Änderung derselben zu führen.

Echte Forschung hingegen ist - im Idealfall -immer ergebnisoffen, was für das Lernen ebenso gilt.

Werden während meiner wissenschaftlichen Arbeit neue Themengebiete erschlossen, geschieht dies mittels eines groben Plans, jedoch ohne genau zu wissen, wohin die Recherchen führen. Am Ende bin ich oft nicht dort angekommen, wohin ich eigentlich wollte, habe dafür aber neue Verbindungen zwischen den Dingen entdeckt.

Im Gegensatz dazu müssen sich Schullehrende an den vorgegebenen Lehrplänen orientieren, da hierorts schon bestehendes Wissen vermittelt, nicht aber neues erschaffen werden soll. Doch ein wenig mehr Freiheit bei der Erarbeitung des Lernstoffes könnte nicht schaden, da auch das schon Bekannte neu entdeckt werden kann.

MEHR VON FLORIAN FREISTETTER: HTTP://SCIENCEBLOGS. DE/ASTRODICTICUM-SIMPLEX

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