HORT DER WISSENSCHAFT

Dicke Provokation

MARTIN HAIDINGER
vom 04.11.2020

Also eines kann ich Ihnen sagen: Das Leben eines Dicken besteht aus einer andauernden Kette von Provokationen! Zuerst zeigt einem der Onkel Doktor oder die Tante Doktrix irgendeine Zahl auf einem Befund, der an sich optisch recht hübsch ist und wie ein Sternenhimmel aussieht. Eine Zahl ist noch dazu besonders dick und fett gedruckt und schaut auch sehr sympathisch aus: 187! Das ist doch in Euro eine nette Summe, um die man fein essen gehen oder sich einen schönen Rausch antrinken kann. Da steht dann noch besonders zuvorkommend daneben: Wurde sicherheitshalber noch einmal nachgemessen.

Dann sagt einem der Weißkittel: Nein, nein, guter Mann, das ist nicht Ihr Kontostand oder das Honorar für die Behandlung in meiner Privatpraxis, sondern Ihr Nüchternzuckerwert in Milligramm pro Deziliter! Und was macht man jetzt mit diesem Wertgegenstand?

Fängt der Doktor doch glatt eine Wertediskussion an und beschimpft einen unflätig, nimmt hundsordinäre Worte in den Mund, die ich nicht einmal zu denken wagen würde: Man sei ein Hyptertoniker, ein Metaboliker, ein Adipöser. Und ein Syndrom habe man auch.

Ein Syndrom? Ist das so etwas, das juckt, wenn ich mich daraufsetze? Nein, nein, sagt er, das metabolische Syndrom kommt bei adipösen Hypertonikern oft noch zu dem dazu, was der Patient jetzt vor allem ist: ein Diabetiker.

Famos, herrlich! Die diskutieren doch immer in den Medien darüber, dass sie die Diabetikerquote auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben wollen! Wegen der Bildung -damit Österreich gescheiter wird! Und ich helfe also jetzt dem Staat, dieses Ziel zu erreichen! Doch die gute Laune schwindet, als eine Fachperson im Raum erscheint, die 55 Kilogramm im Schatten wiegt, und etwas von Diät faselt! Man solle auf dieses und jenes künftig verzichten, vor allem auf jenes. Unter Diäten habe ich mir auch immer etwas ganz anderes vorgestellt!

Zur Beruhigung setze ich mich in meine Stammkonditorei auf ein gutes Molotowtorterl mit einem riesigen Schlagobershäubchen, einem sogenannten Schlag-Anfall, nippe an einem Malakoffcocktail mit extrasüßer Partykirsche und sinniere über mein Schicksal als Dicker.

Eigentlich ist der Status als Adipöser nicht so ganz das Wahre. Man hat nur Zores, ständig muss man sich was hineinsagen lassen von wegen Zuckermanagement und undefinierbaren Körperbewegungen, und muss womöglich noch zahlen dafür! Und wenn es dann endlich an die Diäten geht, kommt offenbar auch kein Geld herein

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