Gute, alte Zeit?
vom 18.11.2020
Früher war alles besser! Das behaupten wir Menschen seit Generationen. Dass früher definitiv nicht alles besser war, ist allerdings offensichtlich. So gut wie jede Kennzahl, die man zu einer objektiven Messung heranziehen kann, zeigt uns, dass es uns noch nie so gut gegangen ist wie in der Gegenwart. Wir leben länger als die Menschen der Vergangenheit, und wir leben besser. Die Armut sinkt, die bewaffneten Konflikte werden weniger und so weiter. Dass der Blick auf die früheren Zeiten uns ein so scheinbar verlockendes "goldenes Zeitalter" zeigt, hat viel mit selektiver Wahrnehmung zu tun. Wenn wir an früher denken, dann denken wir zuerst einmal an unsere persönliche Vergangenheit und blenden dabei all das aus, was damals nicht so gut war. Was bleibt, ist eine durch Nostalgie verklärte Sicht.
Die Herausforderungen der Gegenwart verwirren viele Menschen. Das ist eine Binsenweisheit, die aber ebenso wie die private Nostalgie die Vergangenheit verlockender darstellt, als sie es tatsächlich war. Angeregt durch Fernsehserien träumen wir uns in ein "einfaches" Leben im "Einklang mit der Natur", so wie es früher war. Nur dass in Wahrheit das naturnahe Leben der Vergangenheit eher kurz war. Es gab kein sauberes Wasser, es gab keine medizinische Grundversorgung, keine Arbeitslosenversicherung, keinen elektrischen Strom.
Wir leben in einer durch beständigen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt geschaffenen Welt. Die Resultate dieses kontinuierlichen Anstiegs der Lebensqualität nehmen wir aber kaum bewusst wahr, sie sind für uns selbstverständlich geworden. Umso absurder, sich aus der bequemen Position unserer Welt nach einer Vergangenheit zu sehnen, die vermutlich alle von uns höchst schrecklich finden würden.
Bei all dem Lob des Fortschritts darf man aber auch nicht vergessen, dass es sich dabei um eine menschliche Sicht der Dinge handelt. Uns Menschen geht es besser. Wenn wir die Umwelt betrachten, das Klima oder die Artenvielfalt, war die Vergangenheit tatsächlich besser. Statt uns in eine Zeit zurück zu wünschen, in der es uns schlechter gehen würde, sollten wir dafür sorgen, dass die Zukunft auch für die Welt, in der wir leben, besser wird.
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