FREIBRIEF

Narrative

FLORIAN FREISTETTER
vom 28.04.2021

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil hat ein Problem mit Geschichten. 2019, noch vor der Pandemie, beschwerte er sich in einem Interview: "Es wird immer gesagt, wir müssen (...) eine Erzählung haben, das Narrativ muss passen. Das ist doch verrückt! Ich brauche den Leuten keine Geschichte erzählen. Ich muss Glaubwürdigkeit rüberbringen." Im März 2021 hat er aber offensichtlich doch eine Geschichte gefunden: "Das Narrativ ist ganz einfach: Wir laufen Gefahr, dass die Intensivkapazitäten zu Ende gehen." Es folgte ein Lockdown im Burgenland, der kurze Zeit später einer anderen Geschichte weichen musste: "Die Bevölkerung muss spüren, dass es weitergeht, nur so kann man sie mitnehmen."

Doskozil hat hier ein paar sehr grundlegende Mechanismen des Geschichtenerzählens nicht verstanden. Erstens kann man Menschen durchaus "Geschichten erzählen". Informationen, die uns in Form von narrativen Strukturen präsentiert werden, nehmen wir leichter und bereitwilliger auf als eine Präsentation von Fakten. Wenn es dabei aber, etwa in einer Pandemie, um die Vermittlung von wissenschaftlichen Maßnahmen geht, muss man aufpassen. Solche Geschichten müssen sich an der Realität orientieren, wenn sie keine Manipulation sein sollen. Außerdem muss eine Geschichte eine gewisse innere Logik haben. Man kann ein Narrativ nicht einfach ändern, nur weil es einem gerade passt. Wenn Doskozil zuerst die Geschichte "Wir müssen Opfer bringen, um Gefahren abzuwenden" erzählt, kann er nicht einfach ohne Nichts auf "Wir wagen Öffnungen und trotzen mutig der Gefahr" umschwenken. Vor allem dann nicht, wenn sich an der diesen Geschichten zugrunde liegenden Realität, nämlich die drohende Überlastung des Gesundheitssystems, nichts geändert hat.

Mit so einem Narrativ kann man die Bevölkerung nicht "mitnehmen". Man verwirrt sie und macht sie zornig. Auch in der (Wissenschafts-)Kommunikation darf man die Macht von Geschichten nicht unterschätzen. Richtig eingesetzt sind narrative Strukturen ein Instrument, um Wissen effektiv vermitteln zu können. Für politische Winkelzüge eignen sie sich allerdings nicht. Menschen erkennen eine schlechte Geschichte, wenn sie sie hören.

MEHR VON FLORIAN FREISTETTER: HTTP://SCIENCEBLOGS. DE/ASTRODICTICUM-SIMPLEX

Mehr aus diesem HEUREKA

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!