Empathie
vom 26.05.2021
Wissenschaft ist kompliziert. Wissenschaft verständlich zu vermitteln, ist ebenfalls kompliziert. Das klingt trivial. Manchmal muss man sich aber mit Trivialem beschäftigen. Zum Beispiel mit der Tatsache, dass Expertinnen und Experten mehr wissen als Menschen, an die sie ihr Wissen vermitteln möchten. Das ist so, aber man muss sich dessen auch wirklich bewusst sein.
Gerade jetzt steht die Wissenschaft vor der großen Aufgabe, die Öffentlichkeit über die Corona-Pandemie, die nötigen Maßnahmen, die Impfungen und die damit zusammenhängenden medizinischen Fakten zu informieren. In allen Medien erklären Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer wieder dasselbe. Impfungen sind wichtig. Jeder zugelassene Impfstoff ist gut, und die Wahrscheinlichkeit einer Impfreaktion oder Nebenwirkung ist minimal im Vergleich zum gesundheitlichen Risiko einer Erkrankung. Und so weiter.
Wenn man das ständig wiederholen muss, verliert man irgendwann das Gefühl für die Adressaten der Botschaft. Das, was einem selbst glasklar ist, erscheint dem Gegenüber vielleicht verwirrend oder gar widersprüchlich. Die Entscheidung für die Impfung mag aus Sicht eines Arztes oder einer Virologin keine lange Bedenkzeit benötigen. Es reicht aber nicht, die eigene Überzeugung nur zu kommunizieren. Denn all jene, denen die jahrelange Beschäftigung mit medizinischen Fragen fehlt, haben es nicht so einfach. Für sie ist der Weg zu einer Entscheidung unter Umständen von Zweifeln gesäumt, von Verschwörungsmythen oder einem "schlechten Gefühl" genährt. Dem muss man mit Empathie begegnen und mit der Einsicht, dass man selbst gleichzeitig mehr und weniger weiß als ein Gegenüber: Man verfügt über mehr wissenschaftliches Wissen, aber es fehlt womöglich das Gefühl dafür, wie es ist, angesichts einer Pandemie mit Informationen überrollt zu werden, die man nur schwer einordnen kann.
Wissenschaftskommunikation ist nicht nur dazu da, die "Lücken" im Wissen der Menschen zu füllen. Sie muss es ihnen auch möglich machen, Wissen selbst einzuordnen. Verständnis ist immer auch Empathie. Das zu vermitteln ist alles andere als trivial.
MEHR VON FLORIAN FREISTETTER: HTTP://SCIENCEBLOGS. DE/ASTRODICTICUM-SIMPLEX