Forscher und Förderer

Der Erfinder und Gelehrte Fritz Paschke erhält den Wissenschaftspreis 2020 der Österreichischen Forschungsgemeinschaft

BRUNO JASCHKE
vom 23.06.2021

Seine erste Erfindung diente durchaus aggressiven Zwecken: Als Achtjähriger lieferte sich der 1929 in Graz geborene Fritz Paschke zusammen mit anderen vom rechten Murufer in der Göstinger Au heftige Auseinandersetzungen mit den Buben vom anderen Ufer. Doch Steinschleudern, die sie einsetzten, schafften es nicht über den Fluss. Also baute Klein-Fritz ein Gerät, das mit einem Hebel gespannt wurde und dabei unbewusst eine von Leonardo da Vincis Kriegsmaschinen nachahmte. Es funktionierte - und steht gewissermaßen prototypisch für sein Lebenswerk, technische Theorie zu praktischer Funktionstauglichkeit zu verhelfen.

Diese Fertigkeit zeigte Paschke zunächst nicht in Österreich. Denn kurz nach dem Abschluss seines Studiums der Elektro-/Nachrichtentechnik an der Technischen Hochschule Wien war er in die USA zum David Sarnoff Research Center der Radio Corporation of America (RCA) gegangen.

"Das Wagnis war gleich null, da die US-Regierung für meine Frau und mich ein Hotel in New York für ein halbes Jahr kostenlos zur Verfügung stellte und ein Taschengeld von 600 Dollar pro Monat zahlte", erzählt Paschke. "Die einzige Unsicherheit bestand in der mangelhaften Versicherung der Schwangerschaft meiner Frau. Da sprangen aus Wien vertriebene jüdische Ärzte ein. Dabei weigerte sich ein Star-Gynäkologe beharrlich, ein Honorar entgegenzunehmen. Er könne den Betrag problemlos beim nächsten Rockefeller-Baby draufschlagen."

Beim Sarnoff Research Center versuchte Paschke das nichtlineare Verhalten von Elektronenstrahlröhren zu analysieren und die Effekte zu reduzieren. "Jeder Verstärker leidet unter nichtlinearen Verzerrungen: Im Fernsehen stören Bild und Ton einander. Abhilfe schafften früher nur die Überdimensionierung der Senderleistung und der energievergeudende Betrieb bei schwachen Leistungen. Die Reduktion der Nichtlinearitäten brachte bessere Wirkungsgrade", erklärt Paschke, der für diese Entdeckung mit dem RCA Laboratories Award for Major Contributions to the Nonlinear Theory of Electron Beams ausgezeichnet wurde.

Paschke hatte am David Sarnoff Research Center von Beginn an klargemacht, dass er nicht an militärischen Projekten teilnehmen würde. 1958 jedoch ließ er sich, da es sich um ein rein defensives Projekt handelte, überzeugen, ein Raketenfrühwarnsystem mitzuentwickeln. Es hatte die Aufgabe, vor einem Angriff der Sowjets zu warnen und Zeit für Gegenmaßnahmen zu gewinnen. Das System funktionierte und schlug eines Abends tatsächlich Alarm. Allerdings wunderte sich die US Air Force, dass sich die Signale kaum veränderten: Es war, als ob die feindlichen Raketen in der Luft stehen geblieben wären. Schließlich fand man heraus, dass Reflexionen vom aufgehenden Mond die Signale ausgelöst hatten.

"Später", erinnert sich Paschke, "habe ich erfahren, dass schon US-Flugzeuge mit Atombomben an Bord gestartet waren und über Grönland kreisend auf weitere Befehle gewartet haben. Auch defensive Systeme können zu Katastrophen führen! Kein Wunder, dass Hollywood aus dem Vorfall einen Horrorfilm machte."

1961 wechselte Paschke nach München zu Siemens, wo er Entwicklungsleiter des Werkes für Röhren war. Bereits 1965 erfolgte seine Berufung an die Technische Hochschule Wien. Paschke wurde dort zum Ordinarius des Instituts für Allgemeine Elektrotechnik bestellt und behielt diese Position bis zu seiner Emeritierung 1997.1970/71 übernahm er das Dekanat der Fakultät für Maschinenwesen und Elektrotechnik. Von 1972 bis 1975 war Paschke Rektor der Technischen Hochschule, die seit 1975 Technische Universität (TU) heißt. "Die Rektoratszeit war schön, lehrreich und mühsam. Ich möchte sie nicht missen", resümiert er.

In Paschkes Amtszeit wurde das neue Elektrotechnische Institut fertiggestellt, das Gebäude Resselgasse 3 und das ehemalige Hotel Goldenes Lamm adaptiert sowie ein interuniversitärer Rechnerverbund eingerichtet.

Im Neuen Elektrotechnischen Institutsgebäude der TU Wien ist ein Hörsaal nach Fritz Paschke benannt. Auch anderweitig ist er dem Haus bis heute verbunden: "Bis zur Pandemie war ich jeden Dienstag am Institut der TU und konnte sinnvoll arbeiten. Das erledige ich derzeit zuhause."

Die bislang letzte Erfindung, die ohne seine theoretische Arbeit nie angemeldet werden hätte können, ist repuls, ein schmerz-und entzündungshemmender Tiefenstrahler, für den die gleichnamige Wiener Firma eine Lizenz von der TU Wien erworben hat. Neben seiner Tätigkeit für die TU Wien arbeitete er in zahlreichen wissenschaftlichen Einrichtungen in leitender Position.

Von 1974 bis 1982 war er Vizepräsident des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Als Gründungspräsident von 1985 bis 1990 trug er maßgeblich zum Aufbau der Gesellschaft für Mikroelektronik (GMe) bei.

Zahlreiche Auszeichnungen würdigen seine Leistungen: Er ist Ehrendoktor der TU Budapest, seit 1977 wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Träger des Großen Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich und bekam den Großen Österreichischen Staatspreis für Forschungspolitik verliehen. 1988 wurde er mit dem Erwin Schrödinger-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften geehrt.

Anders als zur Zeit seiner Anfänge in den 1950er-Jahren habe ein Ingenieur heute in Österreich gute Entfaltungsmöglichkeiten, befindet Paschke. Sein Credo als Forscher und Lehrender: "Ich habe Vorgesetzte verabscheut, die sich für geringfügige Beiträge als Miterfinder eintragen ließen, sondern mich eher als Förderer gesehen."

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