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Journalismus

FLORIAN FREISTETTER
vom 23.06.2021

Ich bin Experte für das sehr spezielle Gebiet der astronomischen Himmelsmechanik. In diesem Bereich habe ich geforscht und meine Dissertation geschrieben. In meiner publizistischen und wissenschaftsjournalistischen Tätigkeit beschäftige ich mich aber auch mit sehr vielen anderen Forschungsfeldern. Man kann ein Thema durchaus seriös behandeln, ohne ein entsprechendes Studium absolviert zu haben. Wer in der Zeitung über Sport schreibt, ist selten auch im Leistungssport aktiv. Wer über Politik berichtet, ist kaum selbst in der Politik tätig. Journalismus ist vor allem eine Methode, die funktioniert, ohne eine studierte Fachkraft dafür zu sein, worüber man berichtet.

Aber gerade im Wissenschaftsjournalismus sollte man mit den Expertinnen und Experten reden. Ich schreibe nicht nur selbst über Wissenschaft, sondern werde immer wieder auch von Medien um Interviews und Erklärungen gebeten. Das freut mich einerseits, wundert mich aber auch, denn nicht immer bin ich ein Experte auf dem fraglichen Gebiet. Es würde andere Menschen mit deutlich mehr Ahnung zum Thema geben. Warum werden sie nicht kontaktiert?

Guter Wissenschaftsjournalismus ist auch eine Frage der Ressourcen. Um die wirklich passende Person für ein Interview zu finden, muss man unter Umständen lange recherchieren. Es ist deutlich einfacher, auf jemanden zurückzugreifen, dessen Kontaktdaten man schon hat. Wer einmal Bereitwilligkeit demonstriert hat, sich interviewen zu lassen, und dabei ein aus journalistischer Sicht halbwegs vernünftiges Resultat geliefert hat, wird vermutlich auch in Zukunft immer wieder gefragt werden. Auch wenn es um ein Thema geht, bei dem andere bessere Informationen liefern könnten. Das ist zumindest meine Erfahrung. So bemühe ich mich, aus meiner Sicht unpassende Anfragen abzulehnen und stattdessen den Kontakt zu kompetenteren Menschen zu vermitteln.

Guter Wissenschaftsjournalismus darf sich nicht auf eine Handvoll medientauglicher Expertinnen und Experten beschränken. Das macht die Arbeit leichter, aber man verpasst viele wichtige Geschichten. Wissenschaft ist vielfältig. Wissenschaftsjournalismus muss es ebenfalls sein.

MEHR VON FLORIAN FREISTETTER: HTTP://SCIENCEBLOGS. DE/ASTRODICTICUM-SIMPLEX

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