HORT DER WISSENSCHAFT

Europäische Zivilisation

MARTIN HAIDINGER
vom 27.10.2021

Nach den Blutbädern des Dreißigjährigen Kriegs in Europa und des Bürgerkriegs in Großbritannien wurde in der Bill of Rights der Rechtsstaat festgeschrieben, eine harmonische Ordnung des Gleichgewichts der öffentlichen Gewalten zwischen König und Parlament.

Den Engländern mit ihrer Staatskirche leuchtet ein, was ihnen der Staatsrechtler Thomas Hobbes in seinem Werk "Leviathan" ausrichtet, dass die Zeit des Kriegs zwischen den Konfessionen vorbei sei, da der Staat mit seinem Gewaltmonopol sowohl Gesetze macht als auch die "Confession" bestimmt, während "Faith", also der private Glaube, den Einzelnen überlassen bleibt. Das deckt sich mit dem christlichen Postulat: "So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!" Hobbes begründet jenes Prinzip des Gesellschaftsvertrags, der sich in Europa nach und nach, wenn auch krötenlangsam und mit vielen Sündenfällen, durchsetzt.

Etwa in dieser Zeit entwickelt auch Isaac Newton seine Gravitationslehre, die das Universum als sich selbst erhaltende Welt stillwaltender Gesetzmäßigkeiten beschreibt. Was für das Weltall gilt, muss auch auf den menschlichen Geist übertragen werden können, der ebenso in sich selbst bestehend von allen willkürlichen Einflüssen frei gedacht wird. Der Philosoph John Locke bringt 1689 sein Hauptwerk "Versuch über den menschlichen Verstand" heraus. Ein Hauptpunkt: Alles übersinnliche Wissen ist nur das Resultat unserer eigenen Geistestätigkeit. Dieser Dampfhammer zerschmettert die theologischen Gedächtnisübungen aller Konfessionen. Nach Locke sind sie überflüssig. An ihre Stelle tritt die praktische Belehrung und Geistesentwicklung aufgrund einer genauen Beobachtung und Erkenntnis der Natur und der Menschenwelt.

Mit der Trennung von Gemeinwesen und Religion tritt die Sittlichkeit aus dem Schatten der Dogmen. Lebenszweck wird die Glückseligkeit. Sie wurzelt nicht im Bibelglauben, sondern in der irdischen Verwirklichung der Ideen des Guten, Wahren und Schönen.

Das nennt man europäische Zivilisation.

Bis heute tobt der Kampf zwischen dem von Hobbes bemühten Fabelwesen "Leviathan", der reifen, staatlichen Ordnung, und seinem Widersacher, dem Ungeheuer "Behemot", dem durch Fanatismus und Sektierertum hervorgerufenen Chaos. Bei Hobbes zivilisiert erst der Staat im Sinne des Leviathan die Gesellschaft, doch die Gefahr des Rückfalls in primitiven Aberglauben atavistischer Kulturen besteht jederzeit. Und jetzt reden wir einmal über die "Scharia"

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