Dicke Luft in Zahlen ausgedrückt
Iris Rammelmüller berechnet, wie sich Schadstoffe ausbreiten
Es gibt eine Janis-Joplin-Promenade, HoHo, eines der höchsten Holzhäuser der Welt, autonom fahrende Elektroautobusse im Testbetrieb und geplanten Wohnraum samt Arbeitsplätzen für 25.000 Menschen. Die Rede ist von der Seestadt Aspern im Osten Wiens, einem der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas. Öffentliches Leben steht als "kostbares Gut" schon im Planungshandbuch. Dazu gehört auch die Möglichkeit zur Religionsausübung.
Den "höheren" öffentlichen Raum hat die derzeit im Ringturm zu besichtigende Ausstellung "Campus der Religionen" zum Gegenstand: eine "interreligiöse Begegnungsstätte" für acht Religionen samt Verwaltungsgebäuden und Katholischer Hochschule. Drei Siegerprojekte und drei Anerkennungspreise aus vierundvierzig Einreichungen sind zu sehen -an die erste Stelle wurde das Projekt des Architekturbüros Burtscher-Durig gereiht. Eine Treppe führt ins Zentrum des "Friedensprojektes", dessen Mitte acht kleine Sakralbauten bilden, dazu kommt die Katholische Hochschule.
Kirchen sind in Wien, der einstigen Bastion der Gegenreformation, keine Seltenheit: Das späte Kakanien überzog Wiens Arbeiterviertel mit monumentalen Ziegelbergen. Angesichts sinkender Zahlen an Kirchgänger*innen finden sich dort heute eher Tourist*innen ein und, wie Erzbischof Schönborn einmal schrieb, "der Tamile im Dom". Seit den 1970er-Jahren, als Rot und Schwarz den Kirchenbau des Bildhauers Fritz Wotruba als "Zukunftsprojekt" gemeinsam unterstützten, herrscht politische Eintracht.
Die gegenwärtigen Anforderungen sind vielfältiger geworden: Am rund einen Hektar großen Campus der Religionen in der Seestadt sind katholische, evangelische, orthodoxe und neuapostolische Kirchen mit Sakralbauten von Islam, Judentum, Sikhismus und Buddhismus unter ein Dach zu bringen -ein gemeinsames Flugdach. "Es gibt ja sonst kein gemeinsames übergeordnetes Symbol", sagt Architekt Harald Gnilsen, der "Erfinder" des "Campus der Religionen"."Wenn künftig der Hinduismus dazukommt, sind wir sogar schon im Reich der polytheistischen Religionen." Harald Gnilsen, Direktor des Bauamtes der Erzdiözese Wien, kam mit der Stadt ins Gespräch, als sich die Seestadt noch in Planung befand. "Die Stadt dachte an eine katholische Kirche, ich aber wollte alle Kirchen", sagt der bekennende Katholik, "im Zentrum und nicht am Rand der Seestadt." Auch die Bezeichnung "Campus der Religionen" sei damals schon gefallen. Ein Verein wurde gegründet, der einen interreligiösen Dialog in Gang setzte. Eine vertrauensbildende Maßnahme im höheren Sinne, um mögliche Ängste in der Seestadt zu beseitigen. "Wenn ich etwas vor meinen Augen habe, wie andere Menschen ihr religiöses Leben feiern, habe ich keine Angst mehr oder verliere diese zumindest!"
Gnilsen, zuständig für 1.200 Kirchen der Erzdiözese Wien, ist sich der Gefahren seiner urbanistischen Ökumene bewusste. Die katholische Kirche verfüge über ganz andere finanzielle und institutionelle Mittel wie alle übrigen Glaubensbekenntnisse, die auf Spenden und Freiwillige angewiesen sind: "Wir haben aber alles getan, damit sich die anderen Religionsgemeinschaften nicht vereinnahmt fühlen." Am wichtigsten sei in diesem Projekt das über Jahre entstandene Vertrauen, wie sich auch bei Rückschlägen herausstellte. "Wir haben am Anfang Fahnen aufgestellt, und leider kam es dann zu einer Schändung der jüdischen Fahne mit Hakenkreuzen. Innerhalb einer Stunde haben sich alle Religionsgemeinschaften gegen jegliche Diffamierung ausgesprochen!" Eine ähnliche Erfahrung machte Gnilsen auch nach dem Anschlag im November 2020, als sich alle beteiligten Kirchen sofort gegen den Terror solidarisch zeigten. "Ohne dieses Projekt hätten wir diese interreligiöse Verbindung nicht so schnell geschafft!"
Viele Fragen sind im "Campus der Religionen" noch zu klären: die Finanzierung der Katholischen Hochschule oder die architektonische Gestaltung der einzelnen Sakralbauten. Die Abwesenheit von Kirchtürmen oder Minaretten sei dabei das geringste Problem, das könne man auch anders lösen, meint der Architekt Harald Gnilsen, der zumindest schon weiß: "Der Bürgermeister möcht das Leuchtturmprojekt schnell umgesetzt sehen." Ob sich die Götter in den Containern, die demnächst in Aspern aufgestellt werden, dann tatsächlich einfinden, wird sich herausstellen. Wie sagte der Dichter Hermann Schürrer in solchen Fällen: "Klar Schilf zum Geflecht!"
www.campus-der-religionen.at