HORT DER WISSENSCHAFT

Studie wozu? Keine lange Bank mehr!

MARTIN HAIDINGER
vom 01.12.2021

Erinnern Sie sich noch an Monica Lewinski? Die sexuelle Affäre, die der seinerzeitige US-amerikanische Präsident Bill Clinton mit ihr unterhielt, hätte ihn beinahe das Amt gekostet. Damals, in den 1990ern, ging unter uns Journalisten beiderlei Geschlechts ein kleines Bonmot um: Wenn Frau Lewinsky drüben über dem Großen Teich im Oval Office die Lippen ein wenig zu weit öffnet, hat das am anderen Ende der Welt, in Österreich, zur Folge, dass der Wissenschaftsbeitrag aus dem Ö1-Mittagsjournal fliegt.

Auch andere, viel banalere Kausalketten führten zu dem, was man im alten Reichskammergericht der frühen Neuzeit die "Lange Bank" genannt hatte. Das war jene Fläche, auf der die Akten in der Reihenfolge ihrer Dringlichkeit gelagert wurden. Wenn ein weniger wichtiges Konvolut zu lange unbehandelt blieb, wurde es so lange auf die lange Bank geschoben, bis es am Ende unter den Tisch fiel.

Gar nicht so selten mussten wir erleben, dass wir vielversprechende Forschungsergebnisse nicht in den Nachrichtensendungen unterbrachten, weil schon wieder irgendein drittklassiger Politiker Dummheiten absonderte, die unseren Beitrag aus dem Journal kickten. Das war in den 1990ern. Und heute?

Meine verehrungswürdige Kollegin Elke Ziegler aus der Redaktion Aktuelle Wissenschaft des ORF hat heuer als Erste unseres Genres den renommierten Robert-Hochner-Preis erhalten, und mein großartiger Kollege Günter Mayer wurde in seiner Eigenschaft als führender Journalist der aktuellen Wissenschaft im ORF-Fernsehen zum TV-Star und bekam 2021 eine "Romy" im Bereich Information. Gewiss hat die Pandemie bewirkt, dass man ihrem Schaffen mehr Aufmerksamkeit schenkt als früher, aber es sind vor allem ihre hervorragenden Leistungen, die ihnen zu Recht diese Ehrungen einbrachten.

Eigentlich müsste die weltweite Coronakrise die Stunde der Wissenschaft sein. Noch nie nahmen so viele Menschen auf dem Erdenrund im eigenen Interesse so gespannt an den Aktivitäten naturwissenschaftlicher Forschung Anteil wie heute. Getrübt wird dieser Effekt allerdings vom Momentum schmerzhafter Dummheit und stupenden Aberglaubens, die laut aktuellem Eurobarometer den Menschen in Österreich eine blamable Spitzenposition in Sachen Wissenschaftsskepsis sichern. Mit anderen Worten: Kaum wo in Europa schert man sich im Volk so wenig um Science und Humanities wie hierzulande. Trotzdem werden wir uns nicht beirren lassen und nie wieder auf der langen Bank medialer Prioritäten landen -versprochen!

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