COMPUTER SCIENCE

Die Sintflut am Computer simulieren: Ein neues Softwaretool macht es möglich

Aus Geländescans, Landnutzungsdaten, Bodenkarten, Daten zum Kanalnetz und zur Bebauung schafft Visdom 3-D-Modelle echter Städte

CLAUDIA STIEGLECKER
vom 27.04.2022

Mit dem Ansteigen der Durchschnittstemperatur hat sich auch die Wahrscheinlichkeit von Starkregen erhöht. Da solche sintflutartigen Regenfälle oft kurzfristig im Rahmen eines lokalen Unwetters entstehen, sind sie schwer vorherzusagen. Dennoch ist es wichtig, schon im Vorfeld Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Besonders im urbanen Raum, wo viele Böden durch Gebäude und Straßen versiegelt sind und das Wasser nur schwer versickern kann.

Mit dem Softwaretool "Visdom", das am Wiener Forschungszentrum VRVis in Zusammenarbeit mit dem Institut für Wasserbau und Ingenieurhydrologie der TU Wien entwickelt wurde, lässt sich der Verlauf solcher Ereignisse unter Berücksichtigung verschiedener Schutzmaßnahmen simulieren.

"Visdom ermöglicht das einfache und schnelle Durchspielen verschiedener Szenarien", sagt der Physiker Jürgen Waser, Leiter der Gruppe Integrated Simulations am VRVis. Die virtuelle Landschaft im Computerprogramm basiert dabei auf realen Daten: Aus Geländescans, Landnutzungsdaten, Bodenkarten, Daten zum Kanalnetz und zur Bebauung werden 3-D-Modelle echter Städte oder Gemeinden geschaffen.

"Das Projekt hat vor rund 13 Jahren mit meiner Doktorarbeit begonnen. Mittlerweile arbeiten Expert*innen aus den Bereichen Computergrafik, Mathematik, Physik, Hydraulik und Hydrologie daran."

Ähnlich dem Computerspiel "SimCity", das die Entwicklung einer Stadt unter dem Einfluss unterschiedlichster Faktoren simuliert, kann die Benutzer*in von Visdom Hochwasser simulieren und dabei in die Umgebung eingreifen, um verschiedene Szenarien durchzuspielen. So ist nicht nur die potenzielle Regenmenge einstellbar, per Mausklick können auch Mauern, Wälle oder Erderhöhungen als Schutzmaßnahmen errichtet, kann das Kanalsystem modifiziert oder die Bodenbeschaffenheit angepasst werden. Auch die Logistik für den Aufbau der Schutzmaßnahmen und eine Personenstromsimulierung im Evakuierungsfall sind möglich.

Die entscheidende Frage lautet dabei: "Was wäre, wenn?" Ist die Errichtung eines Damms aus Sandsäcken als Hochwasserschutz sinnvoll? Sind genügend Einsatzkräfte vorhanden? Kann ein Drainagesystem die Kanalisation unterstützen?

"Wir wollten ein interaktives Planspiel schaffen, das Simulation, Analyse und Visualisierung vereint und damit als Entscheidungshilfe für den Krisenfall dienen kann", erläutert Waser. "Besonders wichtig ist dabei, dass vielschichtige Zusammenhänge visuell leicht verständlich dargestellt werden, sodass eine Gefährdung klar erkennbar wird."

Damit die Simulation in Visdom schnell und ohne Genauigkeitsverlust erfolgen kann, waren viele Optimierungsprozesse notwendig: "Das Durchrechnen eines komplexen Simulationsszenarios kann durchaus Tage dauern, das ist natürlich viel zu lang", sagt Waser. "Also haben wir einerseits die zugrunde liegende Mathematik entscheidend verbessert, andererseits ist es gelungen, durch direkte Nutzung der extrem hohen Rechenleistung moderner Grafikkarten die Berechnungen stark zu beschleunigen."

Aktuell wird Visdom ausschließlich auf Stadt-und Gemeindeebene als Entscheidungshilfe angewendet: "Wir arbeiten daran, die Visualisierung noch einfacher zu machen, damit in Zukunft auch Privatpersonen Visdom zur individuellen Risikoanalyse verwenden können." Darüber hinaus ist die Berücksichtigung anderer Naturereignisse wie zum Beispiel Hitze geplant. Der Einsatz von Visdom als Prognosetool ist ein weiteres großes Forschungsziel.

Ein wichtiges Anwendungsgebiet, abseits von Extremwetterereignissen, sieht Jürgen Waser auch in der wassersensiblen Stadtplanung: "Die Realisierung von Maßnahmen nach dem Schwammstadt-Prinzip wie Gründächer, Grünflächen oder Feuchtgebiete lässt sich ebenfalls simulieren." Diese Aktionen zielen auch darauf ab, Regenwasser zu speichern, statt es nur abzuleiten. Sie können so dazu beitragen, das Stadtklima zu verbessern und Katastrophen zu vermeiden.

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