Schwach und selten in Österreich

Die großen Beutegreifer Wolf, Bär und Luchs leben nur rund um unser Land gut

TEXT: JOCHEN STADLER
vom 18.05.2022

Im Jahr 1995 wurden im Yellowstone-Nationalpark (USA) Wölfe wiederangesiedelt. Darauf reagierten sogar Flüsse -und änderten ihren Lauf. Der Grund: Die unzähligen Wapitihirsche, die fast alle Jungbäume gefressen hatten, mieden Täler und Schluchten, in denen sie leichte Beute für die Wölfe wurden. So kamen dort an den Talflanken Espen-und Weidenwälder auf, deren Wurzeln die Uferböschungen stabilisierten. In die neuen Wälder zogen Biber und veränderten mit ihren Dämmen die Flüsse. Sie mäanderten weniger und bildeten Becken für Fische sowie Amphibien. Die durch die Wölfe erzwungenen neuen ökologischen Verhältnisse vermehrten Singvögel, Enten, Füchse, Fische, Adler und andere Arten.

In Europa erlegen Jäger mehr Wild als die Wölfe

Solche enormen Effekte wird man in den viel kleineren Naturlandschaften Österreichs durch Rückkehr großer Beutegreifer wie Wolf, Bär und Luchs nicht beobachten können, erklären Wildtierexpert*innen. Dennoch gehören sie zum natürlichen Artenspektrum und haben hier ein Lebensrecht wie andere Tiere, meint der Geograph und Ökologe Thomas Engleder. Sie spielen eine wichtige Rolle in den Ökosystemen, erklärt Lucas Ende vom Naturschutzbund Österreich: "Wenn Beutetiere wie Rehe Feindvermeidungsstrategien wieder zeigen müssen und bestimmte Regionen im Wald meiden, gibt es dort wohl weniger Verbiss, und der Wald kann sich durchaus verjüngen." Auch sei die Bezeichnung "Gesundheitspolizist" für den Wolf nicht weit hergeholt. "Ein fittes Reh, das ihn früh bemerkt, erwischt ein Wolf kaum -weit öfter durch gesundheitliche Einschränkungen oder das Alter geschwächte Tiere. Außerdem ist er als Bereitsteller von Aas für Raben und im Alpenraum aktiv wieder angesiedelte Bartgeier wichtig."

Der Wolf wird hierzulande großen menschlichen Einfluss auf die Wildtiere nicht überprägen. Selbst in europäischen Regionen mit sehr hohen Wolfszahlen schießen menschliche Jäger deutlich mehr Wild, als den Beutegreifern zugerechnet wird, erklärt Felix Knauer vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Außerdem sind in Österreich die Wildzahlen so hoch wie wohl nirgendwo in Europa. "Als Regulativ wird der Wolf bei uns nicht herhalten können, dazu haben bei uns etwa Rehe zu gute Nahrungsbedingungen und werden im Winter oft gefüttert."

Damit große Beutegreifer einen erkennbaren Einfluss auf Ökosysteme haben könnten, müssen sie sich in halbwegs stabilen Populationen etablieren. Wolf, Bär und Luchs sind jedoch hierzulande in keinem "günstigen Erhaltungszustand", sagt Knauer: "Bei den Bären lässt sich die Situation so beschreiben: Es gibt nur ganz wenige Zuwanderer aus Slowenien und dem italienischen Trentino. Keiner davon ist weiblich. Die am Ötscher in Niederösterreich durch den World Wildlife Fund for Nature, WWF, wiederangesiedelten Bären sind ,verschwunden'. Von einigen weiß man, dass sie illegal geschossen wurden."

Österreichs einziges Wolfsrudel lebt beim Bundesheer

1979 wurden Wölfe in Europa unter Schutz gestellt. So konnten sie sich etwa vom italienischen Apennin in die Alpen ausbreiten. Zusätzlich kommen Wölfe aus drei anderen Richtungen nach Österreich: aus Slowenien im Süden, Deutschland und Tschechien im Norden und den Karpaten in der Slowakei im Osten "Wir haben jedes Jahr mehr Wölfe, die hereinkommen, aber viele von diesen verschwinden wieder", erklärt Felix Knauer von der VetMed Universität Wien. Warum?"Bei den Elterntieren kann man anhand der Biologie der Art ausschließen, dass sie woanders hingegangen sind. Wenn ein Rudel verschwindet, heißt das praktisch immer, dass eines der beiden Elterntiere verstorben ist."

"Den Gründen wird in Österreich nicht ausreichend nachgegangen", sagt Lucas Ende vom Naturschutzbund. 2019 wurde ein Wolfskadaver ohne Kopf in Tirol gefunden. "Die Tiroler Jägerschaft sprach sich daraufhin in einer Allianz mit dem Naturschutzbund und dem WWF dezidiert gegen Wildtierkriminalität aus", erklärt Ende. "Wir wünschen uns, dass so etwas von weiteren Jagdverbänden aufgegriffen wird."

In einem anderen Fall wurden menschliche Jäger entlastet, als sich 2021 die Wunden an einem Wolfskadaver als Bissspuren von Wildschweinen oder Artgenossen herausstellten. Bemerkenswerterweise schaffen es Wolfsrudel, sich im umliegenden Ausland zu etablieren. In Österreich konnte sich bis auf einen Fall keines mehr als ein Jahr lang halten. "Diese einzige Ausnahme ist ein Rudel am Truppenübungsplatz Allentsteig im niederösterreichischen Waldviertel. Es steht unter Aufsicht des Bundesheeres", sagt Knauer.

Von Wölfen geht in Mitteleuropa für Menschen keine Gefahr aus. "Sie könnten Menschen umbringen, aber das passiert in unserer westlichen Gesellschaft seit vielen Jahrzehnten nicht mehr", erklärt Knauer. "Wir haben derzeit etwa 20.000 Wölfe in den westeuropäischen Ländern. Die letzten tödlichen Vorfälle gab es in Spanien während der Franco-Diktatur Mitte des vorigen Jahrhunderts." Hingegen sind Nutztiere, vor allem Schafe und Ziegen, extrem gefährdet. "Wir hatten voriges Jahr wieder einige Hundert tote Schafe." Auf Almen müssen sie geschützt werden. "Dafür gibt es bewährte Maßnahmen, die in Österreich immer wieder in Frage gestellt werden. Viehhalter in den umliegenden Ländern kommen damit gut zurecht." Mögliche Herdenschutzmaßnahmen sind etwa Zäune oder Hirten und Herdenschutzhunde. "In Österreich haben wir viele Nebenerwerbsbauern ohne die nötige Zeit dafür, es bräuchte zusätzliche Arbeitskräfte." Außerdem fehle es an Knowhow darüber, was möglich und sinnvoll ist. Es gibt also auch einen massiven Bedarf an Wissensvermittlung. Dazu dient das EU-Projekt "LIFEstockProtect", indem es Kurse für Landwirte zum Zaunbau im alpinen Gelände anbietet.

Der Verein "Naturschutzhunde in Österreich" bildet Wolfsspürhunde aus. Sie erschnüffeln Wolfskot, ein Zeichen, dass rechtzeitig gehandelt werden muss, damit kein Riss von Schafen oder Ziegen durch Wölfe stattfindet, erklärt Bea Maas vom Verein Naturschutzhunde. Im EU-Projekt "LIFE WOLFALPS EU" werden schnelle Eingreiftruppen zum Herdenschutz aufgebaut. "Auch zur Identifikation der Täter sollen Hunde zum Einsatz kommen", sagt Maas. Sie zeigen an, ob ein getötetes Tier von einem Wolf angegriffen worden ist oder nicht.

In Österreich heimische Luchse sind ohne Nachwuchs

Auch Luchse sind in Österreich fast allesamt Zuwanderer aus den umliegenden Ländern. "Im Norden ist ein kleiner Teil der 'Böhmerwald-Luchse' aus Tschechien und Bayern auch als Grenzgänger immer wieder im Mühl-und Waldviertel in Oberösterreich und Niederösterreich anzutreffen", erklärt der Ökologe Thomas Engleder. "Das sind gut zwanzig Tiere." Schweizer Luchse wandern auch nach Vorarlberg. Diese beiden ausländischen Luchspopulationen reproduzieren sich regelmäßig.

Die fünf gezählten Luchse im Nationalpark Kalkalpen in Oberösterreich hingegen haben keinen Nachwuchs -vermutlich ein Ergebnis von Inzucht. In Österreich verschwinden auch immer wieder Tiere, ohne dass dem nachgegangen wird, obwohl die Akzeptanz für die großen Katzen in der Bevölkerung hoch ist. "Sie sind für Menschen ungefährlich. Auch Nutztierrisse kommen sehr selten vor", sagt Engleder. "Der Großteil der Menschen findet den Luchs super, weil er ein faszinierendes, geheimnisvolles Tier mit schönem weichem Fell ist."

Laut Expert*innen wäre es möglich, ökologisch sinnvoll und beim richtigen menschlichen Verhalten mit geringem Risiko verbunden, wenn die großen Beutegreifer wie Wolf, Bär und Luchs wieder vermehrt und anhaltend in den Wäldern Österreichs leben würden. Es bräuchte aber mehr Akzeptanz, weniger Wildtierkriminalität und Initiativen, die für die Bauern den Schutz ihrer Nutztierherden einfacher machen. Dabei geht es nicht nur um Wildnis. Wolf, Bär und Luchs sorgen auch für intakte natürliche Ökosysteme wie den US-amerikanischen Nationalpark Yellowstone.

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