Eine Trendwende schaffen

Der ehemalige Wissenschaftsminister und nunmehrige Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften über das Gewinnen von Vertrauen in die Wissenschaft

CHRISTIAN ZILLNER
vom 08.06.2022

Herr Faßmann, in Ihrem Kommentar im letzten Falter Heureka schreiben Sie: "Hinter der Forschung stehen keine großen Verbände, keine streikbereiten Berufsgruppen und keine mächtigen Sozialpartner", was es für Wissenschaft und Forschung schwieriger mache, öffentlich wahrgenommen zu werden und an Förderungen zu kommen. Müsste sie dann nicht wenigstes auf Teufel komm raus PR und Kommunikationsarbeit machen? Was geschieht da konkret?

Heinz Faßmann: Ja, hinter der Wissenschaft stehen keine großen und geeinten Interessensvertreter. Das schwächt unsere Position im Verteilungskampf um knappe Ressourcen, was ich so nicht akzeptieren möchte. Denn Forschung und Entwicklung sind fundamental, um unsere Zukunft zum Wohle aller zu gestalten. Und ja, genau deshalb müssen wir Kommunikationsarbeit auf Teufel komm raus leisten, weil wir die Akzeptanz und Unterstützung durch die Bevölkerung brauchen. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften als Wissenschaftsinstitution und Forschungseinrichtung wird ihre Öffentlichkeitsarbeit daher weiter ausbauen. Wir haben erst vor wenigen Tagen den neuen Campus Akademie eröffnet und damit einen Ort der Begegnung mit der Bevölkerung geschaffen -und zwar nicht am Rand der Stadt, sondern mitten im Herzen Wiens. Bei der "Langen Nacht der Forschung" konnten junge und erwachsene Menschen hier Wissenschaft an rund vierzig Mitmachstationen unmittelbar erleben. Das ist schon etwas ganz Besonderes inmitten einer Großstadt. Aber auch im virtuellen Raum öffnen wir die Türen zur Welt der Forschung. Auf unserer Website und unseren Social-Media-Kanälen bieten wir zum einen verlässliche Wissenschaftsinfos an und sind zum anderen Anlaufstelle für Fragen. Das wird auch genutzt: Mehr als eine Million Mal haben Menschen im letzten Jahr unsere Website besucht, unsere Videos auf YouTube wurden insgesamt rund 900.000 Mal angesehen, wir gestalten Podcasts, und neben Twitter und Facebook sind wir seit Kurzem auch auf Instagram zu finden.

Haben Sie als ehemaliger Bildungs-und Wissenschaftsminister eine oder mehrere Maßnahmen in Erinnerung, von denen Sie sagen würden, sie haben das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft erhöht?

Faßmann: Vertrauen ist eine wichtige Währung in der Wissenschaft. Man muss darauf vertrauen können, dass sauber und korrekt gearbeitet wird und dass wissenschaftliche Normen auch eingehalten werden. Ich komme aus der Wissenschaft und ich weiß, dass dies nahezu immer der Fall ist. Die Bevölkerung kann zu Recht der Wissenschaft vertrauen, denn diese hat funktionierende Mechanismen der Selbstkontrolle und der Qualitätssicherung. Dieses Vertrauen war für mich auch ausschlaggebend, um für Rekordbudgets für die Wissenschaft zu kämpfen: für die Universitäten, für die Fachhochschulen, für die Forschungsförderung und für die außeruniversitäre Forschung. Als Gegenleistung habe ich aber auch verlangt, dass Forschung erklärt wird und dass sich Forschung, auch im Sinne der "Dritten Mission", der Themen der Zeit annehmen muss. Forschung also nicht als Selbstzweck der Forschenden, sondern als Dienst an der Gesellschaft.

Sie sind nun neuer Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Was kann diese Institution leisten, um das Vertrauen der Menschen in die Wissenschaft zu erhöhen?

Faßmann: Wissenschaft ist wesentlich, damit wir Herausforderungen wie den Klimawandel, den demografischen Wandel, soziale Ungleichheiten, die Digitalisierung aller Lebensbereiche und vieles mehr bewältigen können. Diese Lösungskompetenz der Wissenschaft wollen wir durch unsere Kommunikationsarbeit noch mehr betonen. Um das Vertrauen in die Ergebnisse der Wissenschaft zu stärken, wollen wir aber auch vermitteln, wie wissenschaftliches Wissen zustande kommt, wie Wissenschaft funktioniert und welche besondere Qualität wissenschaftliches Wissen besitzt. Dabei werden wir bewusst thematisieren, dass Wissen nie "fertig" oder "abgeschlossen" ist, dass jedes Wissen auch unser Nichtwissen vergrößert und wie wir mit Unsicherheiten umgehen. Ein wichtiger Baustein bei dieser "Vermittlungsarbeit" ist der Wissenschaftsjournalismus. Die Akademie hat Stipendien für Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten ins Leben gerufen und wir werden diese heuer neu ausschreiben. Wir möchten auch junge Menschen möglichst früh mit Wissenschaft in Berührung bringen. Die ÖAW hat das Programm "Akademie im Klassenzimmer" gestartet, wir werden unsere Zusammenarbeit mit der KinderuniWien intensivieren, über die neu geschaffene Studienstiftung werden besonders interessierte junge Menschen an die Wissenschaft herangeführt, und es wird wieder neue Wissenschaftscomics für Kinder geben, die spielerisch komplexe Fragen vermitteln. Wir wollen außerdem vermehrt versuchen, bislang eher "wissenschaftsferne" Gruppen in der Bevölkerung zu erreichen. Das ist uns besonders wichtig, denn sonst erreichen wir nur die von Wissenschaft bereits Überzeugten, aber nicht die Skeptiker.

Was können aus Ihrer Sicht Wissenschaftstreibende selbst dazu beitragen, dass das Vertrauen in ihre Tätigkeit und ihre Leistungen steigt?

Faßmann: Für eine öffentlich finanzierte Forschung muss es "part of the job" sein, die eigene wissenschaftliche Arbeit zu erklären. Die Wissenschaft darf nicht mehr im berühmt-berüchtigten Elfenbeinturm verharren. Wissenschaftlich Tätige stehen heute in Klassenzimmern, sie vermitteln ihre Forschung in Videos auf YouTube oder halten Vorträge für die Öffentlichkeit. Das ist gut so. Wir müssen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aber auch dabei helfen, ihrer Vermittlungsarbeit bestmöglich nachgehen zu können. Gerade in der Pandemie - das hat eine Studie der Universität Wien kürzlich gezeigt - hatten Forschende, wie es darin heißt, "mitunter frustrierende" Erlebnisse mit Politik, Medien und Öffentlichkeit. Wir werden daher an der ÖAW verstärkt Medientrainings für unsere Forschenden anbieten.

Portugal, einst ebenso wissenschaftsskeptisch wie Österreich, hat sich davon deutlich entfernt. Wird das uns auch einmal gelingen, und was wird dazu am wichtigsten sein?

Faßmann: Ich bin überzeugt, dass wir eine Trendwende schaffen können. Was dafür auch wichtig sein wird, sind neue Ideen für die Vermittlung von Wissenschaft. Wir haben deswegen eine Preisfrage ausgeschrieben: "Wie gehen wir mit Wissenschaftsskepsis um?" Menschen aus der ganzen Welt können mitmachen und Essays beliebiger Länge einreichen. Einsendeschluss ist der 15. September. Ich bin schon sehr gespannt auf die Antworten.

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