Public Science für Vertrauensurteile

Vertrauen wird erst dann ausschlaggebend, wenn eine Kontroverse existiert, aus der unterschiedliche Handlungsmuster folgen, erklärt Rainer Bromme

CLAUDIA STIEGLECKER
vom 08.06.2022

Herr Bromme, was versteht man unter dem Begriff Public Science?

Rainer Bromme: Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Im Kern geht es darum, den Wissenschaftsprozess für Außenstehende transparenter zu machen. Das kann einerseits bedeuten, dass Daten möglichst früh -eigentlich noch während der laufenden Forschung - für andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler frei zugänglich gemacht werden. Das wiederum gehört zu dem, was man als Open Science bezeichnet.

Andererseits versteht man darunter das Bestreben, den gesamten wissenschaftlichen Erkenntnisprozess auch für Bürgerinnen und Bürger transparenter und auch für ihr Engagement zugänglich zu machen: die publizierten Ergebnisse, den Weg dorthin, aber auch Rückschläge und Irrwege im Forschungsprozess.

Eine Variante von Public Science wird als Citizen Science bezeichnet. Bürgerinnen und Bürger nehmen selbst am Wissenschaftsprozess teil, sammeln zum Beispiel Daten für ein Forschungsprojekt oder führen Messungen durch. Die Partizipation beschränkt sich dabei nicht nur auf das Zusammentragen von Informationen, auch persönliche Erfahrungen und Interessen sind gefragt, etwa bei der Formulierung von Forschungsfragen. Auf diese Weise soll mehr Verständnis für den Wissenschaftsprozess geschaffen werden.

Diese Art der Heranführung eignet sich nur für bestimmte Disziplinen und Themen. Vogelbeobachtungen sind da ein gutes Beispiel, ein anderes Beispiel ist die Gesundheitsforschung, die sich mit persönlichen Krankheitserfahrungen befasst. Allerdings hat nicht jeder Mensch die Zeit und die Bildungsvoraussetzungen, um an wissenschaftlichen Projekten auf eine Weise partizipieren zu können, die dem ähnelt, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihren Projekten tun. Wenn jedoch die Bürgerinnen und Bürger nicht aktiv am Forschungsprozess mitwirken, dann handelt es sich eher um "Wissenschaft zum Anfassen", ähnlich wie bei Vorführungen in Wissenschaftsmuseen oder sogenannten "Gläsernen Laboren".

Wissenschaft arbeitet oft mit sehr komplexen und auch abstrakten, formalen Modellen -das gilt beispielsweise für die Epidemiologie genauso wie für die Wirtschaftswissenschaften. Angesichts der Spezialisierung, die dafür nötig ist, geht es hier letztlich um die Frage, ob man Public Science so versteht, dass man die Arbeitsteilung zwischen spezialisierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Bürgerinnen und Bürgern, die ja keine Experten sind, aufhebt. Oder aber, ob man Formen des Engagements entwickeln kann, die dem Umstand Rechnung tragen, dass die Arbeitsteilung zwischen spezialisierter Wissenschaft und den Bürgern eigentlich der Regelfall ist.

Welche Art der aktiven Einbeziehung wäre denn ein gutes Mittel, um Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken?

Bromme: Um diese Frage zu beantworten, muss man untersuchen, warum sich Bürgerinnen und Bürger überhaupt für Wissenschaft interessieren und wann sich Vertrauensfragen überhaupt stellen. Aus empirischen Studien wissen wir, dass das Interesse an Wissenschaft eng mit Erwartungen an Beiträgen zur Lösung individueller und gesellschaftlicher Probleme verbunden ist. Die Corona-Pandemie ist da ein gutes Beispiel. In solchen Zusammenhängen ist es besonders wichtig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler möglichst transparent machen, was sie mit welchem Ziel erforschen, welche Fragen sie derzeit oder aber demnächst beantworten können, und auch, was sie nicht wissen. In die Forschung gehen auch Wertentscheidungen ein, etwa bei der Themenwahl. Gleichfalls dann, wenn man im Forschungsprozess darüber entscheiden muss, wie viel Evidenz man benötigt, um eine Hypothese zu akzeptieren. Auch darüber sollte Wissenschaft Transparenz herstellen. Denken Sie zum Beispiel an die methodischen Fragen rund um die Messung der Krankheitslast durch Corona, die dann für politische Entscheidungen über Lockdownmaßnahmen relevant waren.

Vertrauen wird erst dann ausschlaggebend, wenn eine Kontroverse existiert, aus der unterschiedliche Handlungsmuster folgen und man daher entscheiden muss, welche Seite recht hat. Das können Widersprüche in der Wissenschaft sein, die sich daraus ergeben, dass wissenschaftliche Ergebnisse durch neue Erkenntnisse revidiert werden. Es können aber auch Widersprüche und Konflikte sein, wenn wissenschaftliche Ergebnisse eigenen Überzeugungen widersprechen. Oder aber Widersprüche zwischen pseudowissenschaftlichen und wissenschaftlichen Aussagen. Die Debatten mit Impfgegnerinnen und Impfgegnern während der Corona -Pandemie haben dafür viele Beispiele geliefert. Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Bromme: Nehmen wir die Frage, ob mRNA-Impfstoffe langfristig Schäden verursachen können. Es gibt gute wissenschaftliche Argumente, dass dies nicht der Fall ist, und durch gute Wissenschaftskommunikation kann man das auch erklären. Wenn aber jemand mit pseudowissenschaftlichen Argumenten dagegen auftritt, wird es für Bürgerinnen und Bürger schwierig, auf Basis des eigenen Verständnisses über Impfstoffwirkungen und speziell über mRNA zu entscheiden, wer in der Sache recht hat. Dann muss man eher beurteilen, wem man eigentlich vertraut.

Wie kommen Vertrauensurteile zustande?

Bromme: Um zu beurteilen, ob wir jemand vertrauen, orientieren wir uns im Alltag an drei Dimensionen: An Hinweisen in Bezug auf die Fähigkeit, dann auf die Integrität und schließlich die Absichten -all das immer mit Bezug auf die jeweilige Frage, um die es beim Vertrauen geht. Also konkret: Hat die Wissenschaftlerin, die angibt, mRNA-Impfstoffe seien nicht gefährlich, die nötige Expertise, um das überhaupt beurteilen zu können, hält sie sich bei ihrem Urteil an die Regeln ihres Fachs und hat sie das Wohlergehen der Öffentlichkeit dabei im Blick? Empirisch lässt sich zeigen, dass diese drei Dimensionen unterschiedlich stark gewichtet werden: Beim Vertrauen geht es vor allem um die Expertise, gibt es Indizien für Misstrauen, werden Integrität und Benevolenz stark gewertet.

Auf welche Weise kann nun Wissenschaftsvertrauen geschaffen werden?

Bromme: Diese drei Dimensionen bieten eine gute Heuristik, um Ihre Frage zu beantworten. Informationen zum Wissenschaftsprozess können sich zum Beispiel positiv auf die Integritätsebene auswirken: das Kommunizieren über Studien, das Begründen der Vorgangsweise und Erklären wissenschaftlicher Ergebnisse.

Im Alltag wird Vertrauen häufig mit einem intuitiven und nicht mit einem rationalen, wissensbasierten Urteil gleichgesetzt. Im Kontrast dazu ist aber zu betonen, dass es auch "informiertes Vertrauen" gibt, das auf Wissen und rationalen Schlussfolgerungen basiert. Public Science sollte dazu beitragen, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger Wissen und Verständnis über die Arbeitsweisen von Wissenschaft erlangen und auf diese Weise ein "informiertes Vertrauensurteil" fällen können.

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