HORT DER WISSENSCHAFT

Ziemlich beste Freunde

MARTIN HAIDINGER
vom 08.06.2022

Wenn ich richtig nachrechne, dann habe ich vor meiner jetzigen Tätigkeit für die Ö1-Reihe "Salzburger Nachtstudio" in meinem früheren Leben als Journalist der aktuellen Wissenschaftsredaktion des ORF-Radios ziemlich genau zwanzig Jahre lang täglich über Wissenschafts-und Bildungspolitik berichtet; für die Ö1-Journale, die Ö1- und Ö3-Nachrichten und für die Ö1-Sendung "Wissen Aktuell". In einem kleinen Land wie Österreich (damals waren wir erst um die 8 Millionen) ergab sich dabei zwangsläufig ein Wiedererkennungseffekt: bei Themen (Studiengebühren, Oberstufenreform, "Studierendenproteste", Rechtschreibreform ), aber auch bei den handelnden Personen aus Politik, Wissenschaft und Journalismus.

Da gerieten tagesaktuelle Pressekonferenzen zu so etwas wie Klassentreffen, konnten Politiker, Rektoren und langgediente Redakteure jederlei Geschlechts ihre Fragen und Antworten schon von vornherein genau einschätzen. Man kannte einander teils jahrelang. Das erhöhte zwar die routinierte Expertise aller Seiten, barg aber die Gefahr in sich, dass die Luft irgendwann einmal draußen war, und das nicht zum Nutzen der journalistischen Qualität.

Seriöser Journalismus erkannte das und ging in sich. Hochsaison hat der gemeinsame Campingplatz von Wissenschaft und Journalismus bei jenen Krisen und Katastrophen, die unsere Themen an die Spitze der Schlagzeilen katapultieren: Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 biwakierten Pressemenschen höchst unterschiedlicher Herkunft und Qualität geistig und manchmal auch real auf den Atominstituten und mussten biedere Stützen der Nuklearwissenschaft am eigenen Leib alles über die Gesetze und Abläufe der grellen Medienwelt zwischen Qualität, Boulevard und Jenseitigkeit erfahren.

Die Corona-Pandemie schließlich ist ein überdehnter Supergau der Grenzüberschreitung, denn in manchen Fällen ist nach zwei Jahren in manchen Formaten auf manchen Sendern nicht mehr klar zwischen Personen aus den Feldern Virologie, Moderation, Journalismus, Modellberechnung, "Satire", Clowns und abseitiger "Expertise" zu unterscheiden. Umso schwerer wiegt da das Befolgen der kleinen Genrekunde, nach der guter Journalismus in Qualitätsmedien sich nicht als Agitation aufführen soll und die Kampagnen für dies und gegen jenes den PR-Agenturen und Propagandaabteilungen diverser Institutionen überlassen darf. Wenn Journalismus und Wissenschaft jeweils bei ihren Leisten bleiben, werden sie ziemlich beste Freunde werden und bleiben können.

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