Aug in Aug mit Andersdenkenden
Beteiligungsverfahren wie der Klimarat können der Polarisierung der Gesellschaft entgegenwirken
Im Gegensatz zum Klima sind die Bevölkerungszahlen in Österreich seit mehreren Jahrzehnten relativ stabil, erklärt Wolfgang Lutz, Gründer des "Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital" in Wien. Eine Frau bekommt im Durchschnitt ein bis zwei Kinder, das heißt, die Geburtenrate beträgt 1,5. Die Bevölkerung erhält sich so nicht selbst und altert.
"Laut unseren Berechnungen ist eine Geburtenrate zwischen 1,5 und 1,7 wohl gerade richtig, wenn dadurch mehr in die Bildung der Kinder investiert wird und ihre Lebensqualität steigt", sagt Lutz dazu. Die Zusammensetzung der österreichischen Bevölkerung durchläuft Veränderungen, die die Klimakrise beeinflussen können. Bestimmte Gruppen könnten von ihr besonders hart getroffen werden. Außerdem verändert der Klimawandel die Bevölkerungsstruktur der Zukunft auch durch Migration.
Bildung entscheidend bei Einstellung zum Klimawandel Zu Bevölkerungsgröße und Altersstruktur kommt als wichtige demografische Variable die "Bildung". Das Bildungsniveau steigt hierzulande kontinuierlich. Laut Statistik Austria hatten 1981 fünf Prozent einen Hochschul-oder Akademieabschluss, 2020 waren es 19 Prozent. Bei mittleren und höheren Schule ging es von 18 auf dreißig Prozent.
"Das Bildungsniveau hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wieweit man den Klimawandel als Problem wahrnimmt und wie flexibel man sein Verhalten ändert", sagt Lutz: "Höher Gebildete haben ein höheres Bewusstsein für die Problematik der Klimakrise und sind schneller bereit, Verhaltensweisen umzustellen. Wir müssen jetzt rapide unsere lieb gewonnenen Verhaltensmuster ändern. Dazu müssen wir flexibel im Kopf werden. Die gute Nachricht: Der Trend zur besseren Bildung der jungen Generation unterstützt dies. Auch wenn besser gebildete Leute meist mehr Einkommen haben und mehr konsumieren." Man muss deshalb Bildung und Einkünfte stets gleichzeitig berücksichtigen.
Man sollte sich mehr um bildungsferne Schichten kümmern "Für die Umwelt und das Klima am schlimmsten sind reiche, wenig gebildete Leute. Wenn hingegen ein Kind aus einer wenig gebildeten Familie ins Gymnasium oder an die Universität geht, bringt es viel Gelerntes, Umwelt-und Klimabewusstsein in die Familie mit. Man sollte sich daher mehr um die 'bildungsferne Schicht' kümmern, das zeigen die PISA-Tests immer wieder", meint Lutz. So kann fast ein Drittel der jungen Burschen nicht "sinnerfassend einen Satz lesen", wie es im PISA-Idiom heißt.
"Das ist natürlich ein Problem, und es betrifft nicht nur die Zuwandererkinder, wie teils behauptet wird." Die Akzeptanz der Klimakrise erfordert ein gewisses Vertrauen in wissenschaftliche Modelle. Bildung ist hierfür äußerst förderlich. "Sie ist also die beste Medizin, sowohl für die kurzfristige Transition, die wir jetzt brauchen, als auch für die Anpassungsfähigkeit der Menschen."
Auch alte Menschen müssen für den Klimawandel lernen Die Altersentwicklung in reichen Ländern ist wegen der Klimakrise problematisch. "Die Hitzewelle 2003 hat in Paris Tausenden Menschen das Leben gekostete, im Wesentlichen den Hochbetagten." 1980 stellten laut Statistik Austria die 16-Jährigen hierzulande die größte Gruppe, anno 2020 die 55-Jährigen. 2035 sollen es die 66-Jährigen sein. Auch bei alten Menschen können Wissen und Lernen viel bewirken. "Viele von ihnen sind damals in ihren Wohnungen an Dehydrierung gestorben", sagt Lutz: "Es gibt Studien, die untersuchten, warum sie nicht einfach den Wasserhahn aufgedreht und getrunken haben". Teilweise verloren sie das Durstgefühl, was mit der Einnahme bestimmter Medikamente zu tun haben kann. Manche waren wohl durch die extreme Belastung oder geistige Krankheiten stark verwirrt. Viele wurden auch nicht ausreichend etwa von ihren Verwandten versorgt, die nicht um die Gefahr wussten.
"Aber es gibt Anpassungsmechanismen. In Sevilla in Spanien herrschen fast jedes Jahr solche Temperaturen, ohne dass viel passiert. Dort weiß man, wie man sich bei extremer Hitze verhält."
Bei Hitzewellen nach 2003 starben auch in Frankreich weit weniger Menschen. Es gab also ein großes Lernpotenzial und beobachtete Lerneffekte. Die Stadtverwaltung und die Verwandten kümmerten sich mehr um ältere Menschen, sie selbst wurden informiert, wie sie sich verhalten sollen.
Auch zusätzliche Klimaanlagen wurden installiert. "Sie werden in Zukunft sehr viel öfter notwendig werden und sollten über Solarpaneele betrieben werden."
Sollen nun alle Menschen in klimafreundlichere Städte ziehen?
Ob sich nun das Leben in den Klimakrisenzeiten vermehrt im kühlen Grünen abspielen wird, oder ob alle Menschen klimaschonender in den Städten leben sollten, ist unter Demograf:innen ein Streitthema. "Es gibt hier einige extreme Standpunkte", erklärt Lutz.
Einerseits "Lobeshymnen für Megastädte". Laut Berechnungen würde etwa in Schweden nur die Hälfte der Energie verbraucht und demnach weniger Treibhausgase ausgestoßen, wenn alle in Stockholm oder Göteborg wohnten.
Andererseits ziehen an Hitzewochenenden die Menschen in Massen für ein wenig Kühlung etwa aus der österreichischen Hauptstadt in den Wienerwald oder an die Campingplätze der Waldviertler Stauseen, weil sich Städte viel stärker aufheizen als Grüngebiete.