EDITORIAL

Klima abseits der Natur: Wie uns die Debatte verändert

vom 05.07.2023

In den letzten Jahren jagte eine existenzielle Krise die andere: 2009 die letzte große Wirtschaftskrise, gefolgt von der durch Griechenland ausgelösten Euro-Finanzierungskrise. Dann 2015 die sogenannte Migrationskrise, und als es scheinbar ruhiger und entspannter wurde, die Pandemie 2019. Kaum abgeklungen, folgte im Februar 2022 die Russland-Ukraine-Krise und dadurch zumindest teilweise verursacht die Energie-und Inflationskrise.

Belasten allein diese Krisen die Gesellschaft und haben Konsequenzen auf das Zusammenleben in der Gemeinschaft, schwebt darüber die Klimakrise. Sie gefährdet gewissermaßen den Ort, wo alle diese Krisen stattfinden, gesamthin und existenziell. Nimmt man die Logik zu Hilfe, liegt auf der Hand, dass sich die gesamte Menschheit, alle politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen, gemeinsam mit ganzer Kraft zumindest um die Abmilderung der bedrohenden Erderwärmung bemühen würden. Mitnichten, es jagt zwar eine internationale Konferenz die andere, es wird aber zu wenig getan. Ganz im Gegenteil, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, aber auch der Drang nach der Pandemie, Urlaub und Konsum nachzuholen, verursachen sogar eine Verschärfung der Klimaprobleme.

Wie reagiert die Gesellschaft auf diese generelle Absenz und Scheu der Politik vor realen Problemlösungen? Was bewirkt die schwelende Gefahr für das Verhältnis der sogenannten Stakeholder untereinander?

Im Themenfeld Politik fehlt es nicht an Mahnern wie etwa UNO-Generalsekretär Antonio Guterres oder Druck seitens der Wissenschaft. Wohl aber an Forderungen der Zivilgesellschaft, "etwas" zu tun. So schockiert man von Katastrophen ist, vergisst man allzu schnell die dramatischen Bilder. Das Bewusstsein wird von der jeweils letzten aktuellen Krise überlagert. Das Hemd sitzt näher als der Rock. Also, was interessiert mich die Erderwärmung in der Welt, wenn jetzt meine Miete teurer wird?

Fazit: die Politik scheut vor Maßnahmen zurück, die Bürger:innen in Richtung Einschränkungen spüren könnten, und setzt, wie etwa der österreichische Bundeskanzler, auf die Hilfe von Innovation und Technik. Die Position ist zwar bequem, aber trügerisch.

Die untätigen Entscheider bewirken natürlich ein differenziertes Verhalten in der Bevölkerung: Vor allem junge Leute sehen sich um ihre Zukunft betrogen und verschärfen die Argumentation und Proteste. Beispiel: die "Letzte Generation" mit ihren Klimaklebeprotesten. Auch wenn die damit an ihrer Tagesarbeit gebremsten Bürger:innen Unverständnis zeigen und scheinbar die falsche Zielgruppe sind, gewinnen die Aktivitäten an Relevanz. Auch Künstler:innen und Wissenschaftler:innen unterstützen die Aktivitäten. Es gibt keinen allgefälligen Protest. Das Thema ist präsent und immer mehr Menschen begreifen, dass Verdrängen und Verleugnen alles nur schlimmer machen wird. Zerreißt das Thema die Gesellschaft?

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