Wie Motopädagogik die Kinder stärken kann

Im Gespräch mit Mag. Alexandra Kremer, Motopädagogin und Gesundheitspsychologin, Verein akmö – Aktionskreis Motopädagogik Österreich

Kind in Wien Redaktion
03.11.2016

Foto: Peter Theiner

Für welche Kinder ist Motopädagogik besonders geeignet?

Kremer: Motopädagogik eignet sich am besten für Kindergarten- und Volksschulkinder, sie findet aber auch dort Anwendung, wo es um leistungsfreies und nicht bewertendes Bewegungserleben geht. Durch die spielerische Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, bestimmten Materialien und den anderen Kindern in der Gruppe werden soziale und materiale Erfahrungen gemacht und Kompetenzen aufgebaut. Die Motopädagogin begleitet das Kind in seiner individuellen Entwicklung, wobei Bewegung und Spiel einen zentralen Stellenwert in der motopädagogischen Stunde haben. Manchmal werden die Kinder von Ergotherapeutinnen und -therapeuten oder von anderen Pädagoginnen und Pädagogen zu uns geschickt. Wir sind dann aber nicht an den Schwächen und Defiziten interessiert, sondern daran, welche Stärken das Kind hat.

Die Motopädagogik versteht sich als eine Bühne für Erfolgserlebnisse. Durch spielerisches Selbertun sowie eine pädagogische, fehlerfreundliche Haltung wird der Selbstwert des Kindes gestärkt und aufgebaut.

Beschreiben Sie uns eine Motopädagogikeinheit.

Kremer: Wir starten immer mit verschiedenen Lauf- und Fangspielen, wobei wir darauf achten, dass alle immer in Bewegung sind. Auch die Motopädagogin läuft und spielt mit. Das freut die Kinder sehr. Wir spielen keine Spiele, bei denen jemand ausscheiden kann. Es wäre schade, wenn manche Kinder nicht zum Laufen kämen, weil sie frühzeitig ausscheiden mussten. Laufen ist ein sehr starkes, kindliches Bedürfnis, dem wir gleich zu Beginn der Einheit gerecht werden wollen. Dadurch können die Kinder gleich einmal Dampf ablassen oder in Schwung kommen.

Nach dem Auspowern treffen wir uns zur Besprechung in der Mitte. Nun beginnt der Hauptteil einer motopädagogischen Stunde. Die Motopädagogin stellt ein Material vor, das sie mitgebracht hat, und gibt den Kindern einen Auftrag, was sie mit dem Material tun sollen. Der motopädagogische Fokus liegt dabei aber nicht auf dem Material, sondern auf der Tätigkeit. Beispielsweise werden bunte Schläuche, ein paar Murmeln und Klebeband vorgestellt. Die Kinder erhalten den Auftrag, mit den Schläuchen Murmelbahnen zu bauen, und werden ins Tun geschickt. Die Motopädagogin nimmt sich in dieser Zeit zurück, damit die Kinder ihre eigenen Ideen und Lösungen finden und ausprobieren können. Sind die Bahnen fertig gebaut, werden sie vorgestellt, und dann kann jedes Kind nach Belieben die verschiedenen Bahnen ausprobieren. Auf spielerische Art und ganz nebenbei trainieren Kinder dadurch ihre Fingergeschicklichkeit, schlussfolgerndes Denken wird angeregt, Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen werden geübt. Sie lernen kooperatives Verhalten in der Gruppe im Miteinander, Füreinander und im Nebeneinander. Die Motopädagogin dient dabei als Vorbild und manchmal auch als Vermittlerin.

Nach dem Wegräumen ist der Entspannungsteil dran. Hierbei erlebt das Kind spielerisch zum Beispiel durch eine Fantasiegeschichte oder durch eine Massage mit den bunten Schläuchen, dass es sich gut anfühlt, sich zu entspannen oder auch jemand anderem etwas Gutes zu tun. Am Ende einer Motopädagogikeinheit hat jedes Kind nochmal die Möglichkeit, in einer Abschlussrunde über sein Erlebtes zu berichten. Denn Eindrücke wollen auch Ausdrücke haben.

Erlernen die Kinder diese einfachen Handgriffe nicht mehr selbst?

Kremer: Früher haben die Kinder noch im Freien gespielt. Sie hatten viel mehr Möglichkeiten, im Wald, auf der Wiese oder im Hof zu spielen, zu rutschen, zu klettern, zu balancieren, zu schaukeln oder zu laufen. Das fehlt den Kindern heute zum Großteil. In der Motopädagogik werden solche Freiräume bewusst geschaffen. Wir Motopädagogen wollen den Kindern weiterhin Bewegungsräume ermöglichen und daher bringen wir diese natürliche Erfahrungswelt in den Turnsaal zurück.

Gerade in einer relativ stark verkopften und bewegungsarmen Gesellschaft ist es doch wichtig, den Fokus wieder mehr auf den Körper zu richten. Denn der Körper ist das Werkzeug, das uns hilft, unsere Um- und Mitwelt besser verstehbar, begreifbar und erlebbar zu machen. In der Motopädagogik erfolgt dies ohne Leistungsdruck und Wettbewerb.

Wie groß sind die Gruppen und was kostet die Teilnahme?

Kremer: Motopädagogische Gruppen, die über den Verein angeboten werden, bestehen aus sieben bis zwölf Kindern, die sich wöchentlich für 60 bis 90 Minuten treffen. Derzeit kostet ein Semester ca. 120 Euro bei zehn Einheiten. Motopädagogische Gruppen werden in ganz Österreich angeboten, in Wien gibt es in allen Bezirken motopädagogische Gruppen. Genaueres ist auf der Vereinshomepage zu lesen.

Haben Sie auch Angebote, bei denen die Eltern mitmachen können?

Kremer: Ja, zum Beispiel bietet der Verein mehrmals im Jahr an Sonntagnachmittagen sogenannte „SO MOVEs – Bewegte Sonntage“ an, wo die Eltern mit ihren Kindern gemeinsam ein paar Stunden Motopädagogik zu bestimmten Themen erleben können. Der letzte SO MOVE fand im Turnsaal statt, wo wir unterschiedliche Schaukeln aufgebaut und dann ausprobiert haben.

Über den Verein veranstalte ich unter dem Titel „Ferien mit Schwung“ einmal jährlich im Sommer einen bewegten Familienurlaub, dieser findet eine Woche lang im Schloss Schielleiten in der Steiermark statt. Das Programm richtet sich an Familien mit Kindern im Alter zwischen zwei und 14 Jahren. Während der Woche gibt es Spiel und Bewegung im Wasser, im Turnsaal, im Wald und auf der Wiese. Es ist ein ganz besonderer Urlaub, bei dem durch das gemeinsame Erleben von Bewegung eine erholsame und freudvolle Zeit für alle geschaffen wird. Die Unterkunft im Schloss bietet den idealen Rahmen dazu. Auch wird im August eine Woche lang ein Motopädagogikcamp im Wiener Prater angeboten, das sich auch als spezielles Betreuungsangebot in der Sommerferienzeit versteht. Genaueres ist auf unserer Homepage zu lesen.

Können Sie ein besonderes Erlebnis mit den Kindern schildern?

Kremer: Ich möchte Maxi, einen fünfjährigen Buben aus einer meiner Motopädagogikgruppen, zitieren, der in der Abschlussrunde einer Stunde einmal sagte: „Weißt du Alexandra, ich habe heute meine Angst überverwindet, vom Kasten hinunterzuspringen!“ Und dabei strahlte er mich mit leuchtenden Augen an.


akmö – Aktionskreis Motopädagogik Österreich
19., Döblinger Hauptstraße 7a/2/43
Tel. 0699/12 16 09 81
E-Mail: akmoe@motopaedagogik.at
www.akmoe.at

Das Gespräch führte Daniela Lipka.

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