Wie nimmt man Kindern die Angst, Frau Kain?

Unsere Leserin Verena P. hat eine Frage an unsere KIWI-Expert:innen gestellt, Mag. Vivien Kain, Psychotherapeutin, spezialisiert auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, hat geantwortet

Barbara Fuchs
28.09.2022

Oft fällt es Eltern selbst schwer, ihre Kinder in dieser Unsicherheit zu erleben (Foto: Pexels)

Kind in Wien: Wie nimmt man den Kindern die Angst, Frau Kain?

Kain: Auch wenn es ein nachvollziehbarer und gemeinsamer Wunsch von uns Eltern ist, unseren Kindern Ängste und Sorgen und somit Gefühle der Verunsicherung möglichst schnell wieder nehmen zu wollen, so ist diese Strategie wenig langanhaltend in ihrer Wirkung und resultiert oft aus der Tatsache heraus, dass es uns selbst schwerfällt, unsere Kinder in dieser Unsicherheit zu erleben.

Vielmehr geht es darum, diese Gefühle von Angst, Unsicherheit und zwischenzeitlicher Überforderung mit unseren Kindern zu halten, sie mit ihnen auszuhalten und ihnen damit das wohl brauchbarste und haltgebendste Vorbild im Umgang mit negativen Gefühlen zu geben. Dadurch darf auch in ihnen die Sicherheit heranwachsen, sich selbst auch zutrauen zu dürfen, negativere Emotionen auszuhalten, wodurch oft schon der sogenannte „Stachel der Bedrohlichkeit“ genommen wird, der uns öfters das Gefühl gibt, unseren Emotionen so ausgeliefert zu sein.

Ansonsten helfen eine Reihe kreativer Prozesse wie Malen, Zeichnen, Schleim gestalten oder sportliche Aktivitäten in der Verarbeitung von Ängsten genauso wie die Ermutigung diese im familiären Bezugsrahmen oder in der Peer Group aus und anzusprechen und damit zu teilen.

Bild von Mag. pth. Vivien Kain

Mag. pth. Vivien Kain

Psychotherapeutin in der Kinderarztpraxiss Schumanngasse

KIWI-Expertin

Kind in Wien: Und wie geht man damit um, dass man im Kleinen wohl ein wenig beitragen kann, der „große Wurf“ aber wohl von der Politik kommen muss?

Kain: Nichts hilft uns und auch unseren Kindern mehr in einer verunsichernden und beängstigenden Situation als das Gefühl zu haben, in unserem, wenn auch begrenzten, aber damit auch gut spürbaren Lebensraum eine Möglichkeit auf Aktivität und Beweglichkeit zu haben. Es geht darum, möglichst nie das Gefühl zu verlieren, einen gewissen Handlungs- und Gestaltungsspielraum zu haben, egal wie begrenzt er sein mag. Das nimmt uns die empfundene Ohnmacht und gibt uns das Gefühl einen Beitrag leisten zu können. Es nährt das Vertrauen, dass diese kleineren Handlungen auch zu etwas Größerem beitragen könnten. Bekanntlich ist es der erste kleine unscheinbare Dominostein, der am Ende eine Vielzahl an gleich anmutenden Steinen in Bewegung setzen kann und somit das Kollektiv stärkt. Das Vertrauen in mich begünstigt am Ende das Vertrauen in die Welt.

Kind in Wien: Was kann ich dem Kind sagen, was es tun könnte? Sich irgendwo engagieren?

Kain: Jede Form von gestalterischer Bewegung und Aktivität im Kleinen sichert das Kind in seiner Handlungsfähigkeit. Ob es nun Freude darin findet sich zu engagieren oder sich entscheidet bewusster zu leben, auf Dinge/Gewohnheiten in Zukunft zu verzichten und Rücksicht zu nehmen, ist jedem/r selbst überlassen. Dennoch ist es wichtig zu erwähnen, dass es auch hier darum gehen darf, „Fehler“ zu machen oder das eine oder andere Mal auch bewusst etwas genießen zu dürfen, das im Prinzip gegen das Engagement/die Überzeugung spricht. Neben all der Ernsthaftigkeit in Bezug auf das Thema darf eine gewisse Form von Flexibilität für die Kinder bestehen bleiben und der Mut zur Unvollkommenheit eine notwendige Leichtigkeit erhalten.


Nächste Woche geht es um das Thema Bewegung bei Kindern und Jugendlichen. Falls auch Sie Fragen an unsere KIWI-Expert:innen haben, schreiben Sie uns gerne ein Mail an kiwi@falter.at und vielleicht erhalten auch Sie bald eine Antwort von unseren Expert:innen!

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