Wie kann der Umstieg von Breinahrung auf feste Nahrung gut gelingen, Frau Pierer?
Kind in Wien: Ab welchem Alter kann von Breinahrung auf feste Nahrung umgestellt werden und wie erkenne ich, ob mein Baby dafür bereit ...
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Kind in Wien: Wie gehen wir als Eltern am besten damit um, wenn fremde Menschen ungefragt unser Kind anfassen?
Vivien Kain: Kleinkinder sprechen mit ihren großen Augen, ihren pausbäckigen Wangen und den kleinen Füßen und Händen in den meisten von uns, einen evolutionsbiologisch angelegten Beschützerinstinkt an, der den kleinen Wesen seinerzeit das Überleben gesichert hat. Daher kommt es auch bis heute nicht selten vor, dass die ältere Dame nebenan an der Haltestelle ungefragt dem fremden Kind plötzlich über den Kopf tätschelt, es in die Wange zwickt und streichelt. Oder die Großtante, die das Kind seit einem Jahr nicht mehr gesehen hat, ungefragt das Mädchen in den Arm nimmt und herzt.
Körperkontakt ist auch heute noch in anderen Kulturen ein Ausdruck von Wärme und Kommunikation. Die Frage, wer fremde Kinder wie und wann anfassen darf, ist ein Diskussionspunkt der jüngeren westlichen Gesellschaft und resultiert daraus, dass in den vergangenen Jahrzehnten erfreulicherweise ein grundlegender Wandel in der Betrachtung von Kindern stattgefunden hat und diese heute nicht mehr als unfertige Erwachsene gesehen werden, die angepasst und erzogen werden müssen, sondern vielmehr als gleichwertige Individuen wahrgenommen werden, die eigene Bedürfnisse und Grenzen haben. Diese neuere Haltung zeigt sich auch in der Diskussion um die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz. Bei dieser Debatte um die Selbstbestimmung spielt nämlich noch ein weiteres Thema hinein: der Schutz unserer Kinder vor Missbrauch.
Daher ist nachvollziehbar, dass die meisten Eltern heutzutage in einer wie oben beschriebenen Szene schnell eine Übergriffigkeit und Grenzüberschreitung dem Kind gegenüber wahrnehmen und zum Schutze ihres Kindes einschreiten möchten.
Wie das genau auszusehen hat, ist abhängig von der Situation selber, dem entstandenen Übergriff und der Person, die das Kind in diese Grenzüberschreitung gebracht hat.
Mag. pth. Vivien Kain
Psychotherapeutin in der Kinderarztpraxis Schumanngasse
KIWI-Expertin
Kind in Wien: Welche Auswirkungen hat das für die Entwicklung und Emotionen der Kinder? Und ist das schon ein Übergriff?
Kain: Kinder dürfen in unserer heutigen Gesellschaft lernen, dass sie ein Recht am eigenen Körper und auf ihre eigenen Grenzen haben, dass es für sie ein sogenanntes Selbstbestimmungsrecht gibt. Sie dürfen und müssen lernen können, dass wahrgenommene Übergriffigkeiten und Grenzüberschreitungen, sowohl verbal, emotional als auch körperlich inakzeptabel sind, diese ausgesprochen werden müssen und sie das Recht haben, hier klare Grenzen zu setzen.
Anderenfalls wird ihnen vermittelt, dass ihre Bedürfnisse und Wahrnehmungen nicht ernst genommen werden und noch schlimmer, dass die Bedürfnisse von Erwachsenen, denen der Kinder übergeordnet stehen.
Dies kann zur Folge haben, dass die Kinder sich immer wieder in grenzüberschreitenden Situationen wiederfinden, die sie meinen, erdulden zu müssen. Einerseits, weil sie nicht gelernt haben, sich in solch Situationen gut um sich selbst kümmern zu dürfen/können, andererseits, weil in grenzüberschreitenden Situationen vonseiten der Erwachsenen nicht brauchbar genug für sie reagiert und eingegriffen wurde. Das Kind entwickelt dadurch weniger Sicherheit in sich selbst und den anderen, es hat die Erfahrung nicht machen können, dass eine eigens gezogene Grenze, ein Nein ihrerseits auch Gewicht hat. Dies kann auf vielen unterschiedlichen zwischenmenschlichen Ebenen für die Zukunft des Kindes unbrauchbar, ja sogar gefährlich werden. Kinder, die nie gelernt haben, dass eigene Grenzen erkannt und respektiert werden, tun sich in weiterer Folge auch schwer, Grenzen der anderen wahrzunehmen und auszuhalten.
Kind in Wien: Wie verhalte ich mich richtig, um mein Kind zu unterstützen, seine Grenzen zu schützen?
Kain: Es ist sinnvoll, die Kinder für das Thema von Beginn an zu sensibilisieren. Das bedeutet im ersten Ansatz auch, dass wir als Eltern bemüht sind, die Grenzen unserer Kinder so gut es geht zu wahren und sie in diesen ernst nehmen. Je brauchbarer es gelingt, in Beziehung zu seinem Kind, aber auch im Sinne der Vorbildfunktion, in allen anderen vorgelebten Beziehungen Grenzen zu setzen und die des anderen wahrzunehmen, desto brauchbarer kann das Kind den Elternteil hier als Vorbild besetzen.
Solange das Kind entwicklungspsychologisch noch nicht in der Lage ist, hier seine eigenen Grenzen aufzuzeigen, darf und muss das Kind freilich geschützt werden.
Auch wenn das in so einer Situation aufkommende Gefühl des Ärgers dem fremden Menschen gegenüber, der das Kind ungefragt berührt, nachvollziehbar ist, so ist es in vielerlei Hinsicht wenig sinnvoll.
Wir wünschen uns, dass sich hier die Wahrnehmung der anderen sensibilisiert und verändert. Da in den meisten Fällen davon ausgegangen werden darf, dass die beschriebene ältere Dame unreflektiert und unbedacht das Kind umarmt, macht es wohl am meisten Sinn hier in den Dialog zu gehen. Die Grenzen des eigenen Kindes sind klar aufzuzeigen, auch die Irritation und das Unwohlsein des Kindes, dass jemand Fremder es einfach berührt. Es macht Sinn in dieser Situation die bekannte Gegenfrage zu stellen, wie sich denn wohl die fremde Person fühlen würde, würde sie jemand einfach ungefragt und ihr unbekannt seiend, berühren, umarmen oder tätscheln. Eine Reaktion, die womöglich das größte Potenzial bietet, dass die Person in eine bewusste oder auch nur unbewusste Selbstreflexion tritt und aus der Situation zukünftig etwas mitnehmen kann, ohne die Aggression der bemühten Mutter auf Abgrenzung ihres Kindes, gleich als übertrieben und überemotional abwehren zu müssen.
Wichtig ist, solche entstandenen Situationen mit dem Kind zu besprechen und nachzuspüren, zu thematisieren, was erlaubt ist und was nicht. Die Kinder ermutigen sich zu überlegen, wie es sich angefühlt hat, dass die Großtante, die das Kind nur einmal im Jahr sieht, sie sofort in den Arm genommen und gedrückt hat. Und auch in der Fantasie immer wieder zu besprechen, was man in so einem Fall explizit machen kann. Was das Kind sich, dem Alter natürlich entsprechend, auch von Mama und Papa, in so einer Situation wünschen würde. Den freien Willen der Kinder zu kommunizieren und hervorzuheben, Ihr Recht auf eigene Meinung und Privatsphäre wahren und immer wieder spiegeln. Das Thema Grenzen von Beginn an klar kommunizieren, ohne Angst zu machen, hilft dem Kind lernen zu dürfen, seine Selbstbestimmtheit zu spüren und auszusprechen.
Vermutlich ist es wie mit vielen Bewusstseinsverschiebungen in unserer Gesellschaft: Es braucht eine Weile, bis wir uns auch bei diesem Thema in einer gesunden ausgewogenen Mitte zurechtgefunden haben. Wir müssen nämlich wachsam bleiben, nicht zu einer Distanzgesellschaft zu werden. Es geht darum, den Respekt vor der Selbstbestimmtheit des Kindes als Individuum zu respektieren und nicht darum, keine Berührungen mehr zuzulassen. Sonst wird es am Ende einsam und trist, da wir doch durch Berührungen auch das Gefühl von Sicherheit erfahren dürfen.