Geschichte eines schleichenden Verlusts: "Die Frau im Nebel"
MICHAEL PEKLER
| 01.02.2023
Vielleicht hätte Kommissar Hae-joon (Park Hae-il) öfter ins Kino gehen sollen. Dann wüsste er, dass man sich als Ermittler in einem Mordfall nicht in die schöne Hauptverdächtige verlieben darf. Weil eine derartige amouröse Verwicklung mindestens gewaltigen Kummer mit sich bringt.
Doch so hat sich der an Schlaflosigkeit leidende Einzelgänger in Park Chan-wooks "Decision to Leave" - der fragwürdige deutsche Titel lautet "Die Frau im Nebel" - in die Witwe jenes Mannes verliebt, der im nahen Gebirge mit zerschlagenem Körper gefunden wurde. Und mit DNA-Spuren seiner Ehefrau unter den Fingernägeln, wie sich bald herausstellt. Doch die chinesischstämmige Seo-rae (Tang Wei) zeigt sich weder geständig noch vom Tod ihres bedeutend älteren Mannes, eines pensionierten Beamten der südkoreanischen Einwanderungsbehörde, sonderlich berührt.
So bekannt die Geschichte über die Obsession eines Mannes, der sich in eine Frau verliebt, sie für sich gewinnt und wieder zu verlieren droht, auch klingen mag, so ungewöhnlich ist ihre Neuadaption mittels dramaturgischer Volten und Ausgestaltung in diesem Film: Folgt die Erzählung zunächst noch dem Muster des klassischen Hollywood-Detektivfilms - Hitchcocks "Vertigo" liefert einmal mehr die formidable Blaupause -, mutiert sie zum zarten Melodram, als Seo-rae zumindest offiziell für unschuldig erklärt wird.
Und zwar mit der schönsten Szene des Films beim gemeinsamen Besuch eines Tempels. Selbstverständlich bei Regen. Weshalb sich hier auch keine Amour fou entzündet, sondern die anhand scheuer Gesten und Blicke erzählte Geschichte eines schleichenden Verlusts.
Dass Park Chan-wook ("The Handmaiden") für seinen jüngsten Film in Cannes den Preis für die beste Regie erhielt, ist keine Überraschung. Tatsächlich ist "Decision to Leave" sein bislang reifstes Werk, in dem immer deutlicher durch jedes Bild und jeden Satz schimmernd die große, humanistische Idee hinter seiner Erzählung erkennbar wird. "Du hast mich würdevoll genannt", lautet somit auch der wichtigste Satz in diesem Film.
Ab Do im Kino (OmU im Filmcasino, Votiv)