Die Versemmler
Harry Bergmann sucht in einem Experiment nach einer signifikanten chemischen Reaktion, findet aber keine

Drei Kaisersemmeln. Foto: Pixabay
Das ist ein Experiment. Also eigentlich der Versuch eines Experiments. Es wird wohl so ausgehen wie die meisten Experimente in der Chemiestunde im Bundesrealgymnasium, Wien 18 – tut mir leid, ich kenne nur die. Vorne macht einer – in dem Fall ich – ein Experiment, und kein Schwein schaut oder hört ihm dabei zu. Von Lesen will ich gar nicht reden.
Jedenfalls geht es wieder um Chemie. Eine besondere Art der Chemie, die zwischenmenschliche. Es gibt Menschen, die sich, aus welchem Grund auch immer, gerne in Gruppen aufhalten. Reisegruppen, Mannschaften, Clubs, Lesezirkeln, Vereine, Gruppensex, Mietervereinigungen, Sekten, Genossenschaften, Massenmeditationen, Vollkofferversammlungen und was es da alles gibt.
Und manche übertreiben es eben und treten einer Partei bei.
Ich höre schon die ersten Ungehaltenen: „Ja, ja, schon verstanden, geht wohl um die SPÖ. Aber worin besteht das Experiment?“
Gemach, gemach! Ich gebe zu, es geht um die SPÖ. Kein Kunststück, es geht in den letzten Wochen ja nur um die SPÖ. Dafür sorgen die anderen Parteien, die Medien, die den anderen Parteien näherstehen, als sie vielleicht sollten, die Stammtische, die sich auf schlechte Burgenländer- und noch schlechtere Frauenwitze verlegt haben, alle Schadenfrohen, alle selbsternannten Neo-Politologen, alle Neugierigen, alle Gerüchteköche und -köchinnen, alle Kaffeesudleser, und ja, vor allem die SPÖ selbst. Warum also dann nicht auch ich?
Das Experiment? Na gut, ich erkläre es Ihnen.
Es ist Montag, 22. Mai, 12:30
Ich sitze in Berlin und beginne eine Kolumne zu schreiben – das allein ist ohnehin immer ein Experiment. Heute um 17 Uhr wird das Ergebnis von der Mitglieder-Dings veröffentlicht. Und morgen und übermorgen und überübermorgen können Sie dann nachlesen, warum es so ausgegangen ist, wie es ausgegangen ist und warum es gar nicht anders hätte ausgehen können und warum derjenige oder diejenige, der oder die darüber schreibt, immer schon gesagt hat, dass es so ausgehen wird, obwohl er oder sie noch vor ein paar Tagen das genaue Gegenteil prognostiziert hat.
Ich beginne aber jetzt – um 12.30 Uhr – zu schreiben, wie ich glaube, dass es ausgehen wird, auf die Gefahr hin, dass ich in ein paar Stunden der nachweislich größte Trottel sein werde, der meilenweit daneben liegt, quasi der Anti-Filzmaier, sie wissen schon, der mit der gelben Krawatte, der im ZIB2-Studio lebt und täglich wechselnde Moderatoren zu Gast hat.
Man soll sich aber nicht zu einem noch größeren Trottel machen, als man ohnehin schon ist, und daher sage ich das, was man schon vor dem Veröffentlichen der Ergebnisse – relativ risikolos – sagen kann:
Die SPÖ hat es wieder einmal versemmelt.
Egal, wer gewinnt, sie hat es versemmelt. Nicht, weil sie die Mitglieder-Dings gemacht hat, sondern wie sie sie gemacht hat. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Skirennläufer, stehen am Start und keiner sagt Ihnen, ob Sie eine Abfahrt oder einen Slalom fahren sollen. Sie wissen nicht einmal, ob der Schnellste gewinnt oder der Schnellste nur beim nächsten Rennen mitmachen darf, wo dann vielleicht der Schnellste oder eh nur der, der die meisten Fans im Skiverband hat, gewinnt. Und dann ruft Ihnen noch jemand ein paar Sekunden vor dem Start zu, dass es ohnehin nur um ein Stimmungsbild geht, um festzustellen, ob Sie Freude am Skifahren haben.
Die Blackbox war gestern, heute ist Redbox.
Gewinnt Rendi-Wagner, bleibt Christian Deutsch, diese Personalunion aus rotem Hiob und geschäftsführender Cassandra, im Amt. Die nächste Nationalratswahl ist damit jedenfalls unter Garantie versemmelt. Was heißt da versemmelt? Versemmelnknödelt, würde Karl Valentin sagen.
Gewinnt Doskozil, gewinnt die plumpeste Intrige seit Erfindung des Machiavellismus, und die Wiener Semmeln einschließlich der aufgebackenen Alt-Bundeskanzler schauen durch die Finger. Ja, und die nächste Nationalratswahl ist natürlich auch versemmelt, denn wie soll ausgerechnet ein Spaltpilz die Risse zusammenkleben. Von den Wahlkampfreden ganz zu schweigen.
Gewinnt Babler, dann müsste sich die SPÖ doch glatt zurückbesinnen, wer sie eigentlich einmal war und auch heute noch zu sein hat. Das alles ist aber schon so lange her, dass man bezweifeln muss, ob diese Erinnerungsleistung bis zur nächsten Nationalratswahl zu erbringen ist. Also irgendwie auch versemmelt.
Es ist Montag 17:10, die Ergebnisse sind da:
Rendi-Wagner: 31,4 Prozent
Doskozil: 33,7 Prozent
Babler: 31,5 Prozent
Jetzt kracht die SPÖ endgültig, wie eine Kaisersemmel. Einer auf Twitter schreibt, dass er noch nie ein Ergebnis gesehen hat, dass so gut zu einer Partei passt.
Ich breche jedenfalls das Experiment ab. Alles, was ich vor dem Ergebnis gesagt habe, gilt auch nach dem Ergebnis. Oder anders: Es hat also keine signifikante chemische Reaktion stattgefunden, wenn man SPÖ-Mitglieder und SPÖ-Funktionäre in einem Reagenzglas mischt.
Stimmt nicht ganz. Eine Reaktion gibt es doch: die Personalunion aus rotem Hiob und geschäftsführender Cassandra ist weg vom Fenster, zumindest wenn es um ein Fenster geht, das auf die Löwelstraße hinausschaut. Seine Chefin auch, aber die ist zumindest erlöst.
Es gibt gar nicht so wenige, die meinen, dass dieser ganze voyeuristische Prozess gut für die Partei, gut für die Demokratie an sich ist. Sollte dem wirklich so sein, schreibe ich eine Kolumne und entschuldige mich für siebenmal „versemmelt“, einmal „Semmeln“, einmal „Kaisersemmel“ und einmal „Versemmelnknödelt“ (selbst – also ohne Kommission – nachgezählt).
Ihr Harry Bergmann
PS: Wäre ich SPÖ-Mitglied, hätte ich sicher Babler gewählt. Da ich kein SPÖ-Mitglied bin, nehme ich an, dass die SPÖ meine Stimme für Babler in den nächsten Tagen auch noch versemmeln wird und ich dann so oder so kein SPÖ-Mitglied mehr wäre. Achtmal „versemmelt“.
Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.