Rundherum statt rundheraus

Wenn Politik eine Droge ist, scheint Sebastian Kurz noch nicht bereit, auf Entzug zu gehen.

Harry Bergmann
am 18.09.2023
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Viel Lärm um nichts sieht Harry Bergmann rund um die Filme über Sebastian Kurz FALTER

Jetzt einmal abgesehen davon, dass ich das Wort „rundheraus“ nicht wirklich verstehe - müsste es nicht "gradheraus" heißen? – geht ohnehin fast nichts mehr rundheraus auf dieser Welt. In Österreich schon gar nicht. Alles bewegt sich mehr oder weniger rundherum. Das Wort "rundherum" verstehe ich übrigens besser, da steckt eine gewisse Krümmung drinnen. Und das Krumme kann man spüren. In Österreich derzeit sehr stark. Je tiefer man in die Politik absinkt, desto rundherumer.

Vor ein paar Tagen ging die Rundherumerei um Sebastian Kurz in die nächste Runde. Denn da war die Premiere des bereits zweiten Kurz-Films innerhalb einer Woche. Ich sage es lieber gleich: Ich habe weder den ersten noch den zweiten Film gesehen. Und noch etwas sage ich rundheraus: Ich werde weder den ersten, noch den zweiten Film sehen. Ich bin nicht stolz drauf, aber es geht mir sehr gut damit. Je mehr ich in den Medien darüber lese und je mehr Personen, die ich nicht besonders schätze, sich nach vorne drängen, um in den Medien cineastisch zu Wort kommen zu dürfen, desto besser geht es mir damit.

Kaum jemand – so kommt es mir jedenfalls vor - kann einigermaßen neutral und entspannt sagen, was er von dem einen oder dem anderen Werk hält. Wo Stoiker gebraucht wären, hüpfen Rumpelstilzchen herum, rundherum. 

Die Aficionados des ersten Films reden über den zweiten Film, als ob Kurz dort meuchlings, also heimtückisch und hinterrücks ermordet werden würde. Einer der türkisesten und "kurzesten" Abgeordneten, dessen Namen ich nicht nennen möchte, spricht sogar explizit von einem "Meuchel-Film".

Die Aficionados des zweiten Films begnügen sich nicht damit, den ersten Film als viel zu langen Werbe-Spot zu sehen, sondern glauben, in ihm das Produkt irgendeiner dunklen Trollfabrik entdeckt zu haben.

Herrschaften, wie wäre es mit etwas Gelassenheit und ein bisschen Shakespeare, es ist nämlich "Viel Lärm um nichts".

Ich fürchte, Sie werden mir jetzt nicht zustimmen, Sie werden mich vielleicht sogar für respektlos und anmaßend halten, aber ich kann Ihnen sagen, warum ich mir beide Filme nicht ansehe: Ich halte Sebastian Kurz für eine ziemlich uninteressante Persönlichkeit. 

Das meine ich gar nicht despektierlich, das empfinde ich tatsächlich so. Ich meine natürlich den "nackten" Sebastian Kurz. Seiner Macht entledigt. Seines Bundeskanzleramtes entledigt. Seiner Entourage an Himmelhochjauchzern entledigt. Seiner geschickten Spielchen entledigt. Einfach so Sebastian Kurz.

Natürlich ist seine Karriere beeindruckend. Vor allem das Tempo dieser Karriere. Aber weder spüre ich ein großes Charisma, noch beeindruckt er mich als brillanter Rhetoriker, ob er ein großer Denker ist, vermag ich nicht zu sagen, aber wenn er sagt, was er denkt, dann eher nein und er kommt auch langsam in ein Alter, wo er nicht mehr als Wunderkind durchgeht. Er ist sicher kein Guter (sind Politiker schon lange nicht, wenn sie es jemals waren), aber auch zu wenig ein Böser, als dass ihn das schaurig interessant machen würde.

Sehen Sie sich einmal ein Foto an, wo Sebastian Kurz neben Martin Ho steht und Sie wissen, was ich meine. Oder versuchen Sie sich ein Gespräch unter Freunden zwischen ihm und René Benko vorzustellen. Oder fragen Sie – rundheraus, wenn Sie sich trauen - Angela Merkel.

Was er aber zweifellos ist: Er ist eine interessante Figur. Vielleicht sogar eine Kunstfigur, erschaffen von denen, die in ihm etwas sehen, was er gar nicht ist. Erschaffen von denen, die ihre eigenen Träume nicht ausleben konnten, aber nun doch ausleben dürfen. Erschaffen von denen, die – ohne ihn – Lichtjahre von den Positionen entfernt gewesen wären, die sie – mit ihm - bekleiden. Erschaffen, um einen Generalschlüssel für die Türen in die Hand zu bekommen, durch die man gehen muss, um an die Hebel der Macht zu gelangen.

Sebastian Kurz ist nicht Teil eines Narrativs, er ist ein Narrativ. Ein Narrativ, das wunderbar in unsere heutige Zeit passt, die so gar nicht wunderbar ist. Ein Narrativ, das nicht nur einen Hauptdarsteller trägt, sondern viele Nebendarsteller. Ein Narrativ, in dem Leute, die bisher nur Komparsen waren, plötzlich Sprechrollen bekommen, auch wenn man ihnen den Text solange einbläuen muss, bis sie ihn einigermaßen radebrechend können. Und es ist vor allem eines: Es ist ein Narrativ, das noch nicht zu Ende erzählt ist.

Und deshalb glaube ich, dass es nicht um die beiden Filmchen geht, sondern um den großen Film dahinter "Die Wiederkehr des Sebastian K.".

Menschen, die viel mehr von Politik verstehen als ich, schütteln jetzt den Kopf. Das Timing stimmt nicht. Die Anklagen müssen zuerst vom Tisch. Der Coup hat nur einmal funktioniert. Es wäre das Ende der ÖVP usw.

Menschen, die viel mehr von Geschäften verstehen als ich, schütteln den Kopf. Das hat er doch nicht nötig, er verdient jetzt eine Stange Geld. Warum sollte er sich das antun?

Aber als Nachrichten-Seher sehe ich, was ich sehe, und ich hab die Gesichter jener gesehen, die sich beim ersten Film gedrängt haben, um ein Stückchen dieses großen Moments zu erhaschen, die sich in der Erinnerung an die Macht gesonnt haben, wie in einem großen Solarium, die gescherzt und gekichert und gekudert haben, und dazwischen ER.

Und dann ist da noch etwas. In der Politik ist es so wie im Sport. Man ist immer nur so stark, wie es einen der Gegner sein lässt. So gesehen ist Kurz stark. Und er weiß es. Und die um ihn herum wissen es. Und der, der sich Bundeskanzler nennt, weil ihm andere gesagt haben, dass er sich jetzt Bundeskanzler zu nennen hat, weiß es.

Politik ist eine Droge und Sebastian Kurz ist noch nicht bereit, auf Entzug zu gehen.

Jetzt bin ich doch glatt in die eigene Falle gelaufen. Oder in die Falle, von der ich behaupte, dass die anderen immer wieder laufen. Ich wollte gar nicht so viel über Sebastian Kurz schreiben. Ich wollte ihm nicht mehr Raum geben, als er bei mir hat. Und jetzt bin ich schon fast am Ende der Kolumne und ich habe ausschließlich über ihn geredet.

Das ist fast so wie in dem Witz, in dem eine Mutter so stolz auf ihren Sohn ist, weil er 500 Dollar beim Psychiater ausgibt, nur um über sie zu reden.

Ich wollte über ein Buch reden, das ich gerade lese. Ein Büchlein eigentlich. "Regen" von Ferdinand von Schirach. Ich wollte nicht einmal über das Büchlein selbst reden, sondern über einen ZEIT-Podcast mit Schirach, auf den ich aufmerksam wurde, eben weil ich "Regen" gerade lese. In diesem gescheiten Podcast geht es unter vielen anderen Themen auch um die Stoiker. Und ich wollte mir überlegen, ob es in einer Zeit, in der sogar schon ein Filmchen über Kurz für helle Aufregung und Empörung sorgen kann, nicht besser wäre, wenn wir uns an ein paar Prinzipien der Stoiker erinnern würden. Unter den Stoikern wäre nämlich einer wie Kurz nicht möglich.

Aber das kann ich ja das nächste Mal tun, wenn mir nicht wieder etwas in die Quere kommt.

Meint rundheraus,

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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