Nebelgranaten

Florian Klenk
Versendet am 03.09.2019

haben Sie gestern Abend auch Sebastian Kurz im ORF-Sommergespräch gesehen? Der Altkanzler wurde dort mit unseren neuen Falter-Recherchen zu seiner dubiosen Buchhaltung konfrontiert – aber er ging, wie ich finde, als Sieger vom Platz. Denn Kurz zündete eine Nebelgranate nach der anderen und der diesmal etwas unvorbereitet wirkende ORF-Newcomer Tobias Pötzelsberger verlor im ÖVP-PR-Nebel den Durchblick.

Im Fernsehen hat Kurz es ja auch wirklich leicht. Seine Interviewer haben nur ein paar Minuten Zeit kritische Fragen zu einem komplexen Thema zu stellen. Kurz lächelt dann verschmitzt, bedankt sich höflich und lange für die "sehr wichtige Frage" und führt das Publikum flugs zu den Verfehlungen der SPÖ oder des Falter. Hinter unseren "teilweise unwahren" Falter-Geschichten, so patzte Kurz uns auch noch an, stünde ja "ein System".

Wir müssen ihn enttäuschen: nicht das System, sondern akribische Recherche und ein geheimer Informant waren verantwortlich für die spannende Coverstory, die Falter-Redakteur Josef Redl gemeinsam mit Nina Horaczek, Eva Konzett, Lukas Matzinger und Barbara Tóth recherchiert hat. Anhand interner Dokumente weisen die Falter-KollegInnen nach, dass die ÖVP eine Art doppelte Buchführung betreibt. Die dem Falter vorliegenden Dokumente zeigen auch, wie Sebastian Kurz und die neue ÖVP mittels verbotener Budgetüberschreitungen ihre Erfolge durch massiven Mitteleinsatz im Wahlkampf erkauften. Konsequenzen? Keine. Die Rechtslage erlaubt bzw. erleichtert Kurz die Tricksereien.

Eine schöne Falter-Woche wünscht

Ihr Florian Klenk


Worüber Wir Reden

Die Nebelbomben von Ibiza. Nebelbomben flogen gestern auch aus der FPÖ-Zentrale. Die Entscheidung der Justiz, Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache wegen des Ibiza-Abends strafrechtlich nicht wegen Bestechung zu verfolgen, wurde von der FPÖ als Erfolg vermarktet. In Wahrheit hat die Korruptionsstaatsanwaltschaft aber nur das getan, was Strafrechtler im Falter bereits im Mai vorhersagten: Sie stellte fest, Strache habe sich dadurch, dass er in Ibiza einer vermeintlichen Russin vor laufender Kamera staatliche Autobahn-Bauaufträge für politisches Engagement in Aussicht stellte, nicht strafbar gemacht. Er war eben nur ein Abgeordneter und für die Vergabe solcher Aufträge nicht zuständig. Vielleicht schließt der Gesetzgeber ja endlich diese Lücke, die Stimmenkauf ermöglicht. Unsere gesamten Texte zur Ibiza-Affäre können Sie hier nachlesen.


Worüber Wir Reden Sollten

Die Nebelbomben aus der ÖVP-Zentrale. Auch die ÖVP-Zentrale füllt sich derzeit mit Nebel. Die ÖVP feiert die (allseits erwartete) Einstellung des Verfahrens wegen eines möglichen Konnexes zu Ibiza wie eine Sensation. Ist es auch eine? Sie erinnern sich: der Falter veröffentlichte im Juni ein Video auf dem man sieht, wie ein Kurz-Vertrauter fünf Festplatten aus dem Kanzleramt eigenhändig bei der Firma Reisswolf schreddert - und das unter falschem Namen. Noch nie habe er so etwas gesehen, sagte der Firmenchef. Hier können Sie das Video nochmals nachsehen. Und wir fragten uns: wieso war alles so konspirativ? Cui bono?

Die Opposition mutmaßte, auf den Speichern könnten Spuren interner Daten zu Ibiza oder anonymen Spendern enthalten seien, zumal die Säuberung kurz nach Veröffentlichung jenes Ibiza-Videos erfolgte, in dem Strache davon spricht, dass auch die ÖVP "am Rechnungshof vorbei" Spenden lukriert habe. Klang natürlich heiß, aber beweisen lässt sich der Konnex zu Ibiza natürlich nie, denn die Speicher sind ja zu Sand gemahlen worden. Dass die Justiz das Verfahren einstellt, war da nur logisch.


Buchtipps

Zum Schluss ein bisschen was Persönliches: Da ich das Privileg eines fünfwöchigen Urlaubs hatte, kam ich ausnahmsweise zum Lesen. Meine Themen: Zorn, Hass, die allgemeine Gereiztheit und die Möglichkeit der Manipulation der Wählerschaft in den Sozialen Medien. Dazu lese man die Soziologin Cornelia Koppetsch ("Die Gesellschaft des Zorns") , das bahnbrechende Werk des Thüringer Kommunikationswissenschafters Bernhard Pörksen ("Die große Gereiztheit"), und Shoshanas Zuboffs epochales Werk über das "Zeitalter des Überwachungskapitalismus".


Post An Falter Maily

"Die unanstrengendste Art up to Date zu bleiben, was wahltechnisch passiert. Danke für die Sommergespräch-Info und für das Lächeln über das niedliche Fake-Zitat. Bleibt sauber!" - Uschi Mumper, 8010 Graz

"Schade, dass der Newsletter erst startet. Ich hätte mich sehr über eine kritische Analyse zur Aussage von Martina Salomon über die wenig authentische Cordon Bleu-Esserin Pamela Rendi-Wagner gefreut." - Manfred Wewerka, 1220 Wien

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Heute Im Fernsehen

  • Ab 18.30 Uhr gibt es in der Ö1-Reihe "Klartext" die erste Elefantenrunde mit allen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der Parlamentsparteien und der Grünen. Gesendet wird aus dem schönen Großen Sendesaal des ORF-Radiokulturhauses. Sehen kann man das auf ORF 3.

  • Ab 20.00 Uhr wird auf ORF 3 die "Klartext"-Diskussion analysiert.

  • Um 20.15 Uhr gibt es in ORF 1 die neue Sendung "Mein Wahlometer" mit Lisa Gadenstätter zu sehen, das ist die erste Folge einer Reihe. Thema ist "Das liebe Geld". Es kommen nicht nur die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten zu Wort, sondern auch echte Menschen.

  • Um 21.05 Uhr startet in ORF 2 ein "Report Spezial" zur Nationalratswahl. Den "vielzitierten Basisfunktionären" wird hier eine Bühne geboten, heißt es. Davor läuft der erste Teil einer Universum-Reihe über Tierbabys, auch das könnte Sie interessieren.


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