Herzschlag - FALTER.maily #24

Eva Konzett
Versendet am 27.09.2019

die Anatomie, liebe Leserin und lieber Leser, ist mitunter von der Politik sehr weit entfernt. Zumal in Österreich. Hierzulande schlägt das Herz rechts, und das nicht erst seit mit Sebastian Kurz ein junger, fescher Mann den ewigen Migrationskasten leiert. Es war eigentlich in den vergangenen sieben Jahrzehnten der Zweiten Republik immer so. Außer in den Ausnahmejahren unter dem Sozialdemokraten Bruno Kreisky, da ging eine sozialdemokratische Sonne auf. Und dann ging sie wieder unter.

Ab 1945 hatte Österreich neun Landeshauptstädte, mehr als 2000 Kilometer Staatsgrenze und zwei Reichshälften, eine linke und eine rechte. ÖVP und SPÖ hatten sich das Land untereinander aufgeteilt und sorgten sich sodann um ihre jeweilige Klientel besonders eifrig. Zuerst ging es darum, miteinander den Wiederaufbau zu schaffen. Dann ging es irgendwann nur noch um den Machterhalt. Bezahlen muss dafür derzeit nur eine Partei.

Den Hut des Stillstands, des Mauerns, des Regierens zum eigenen Vorteil konnte die ÖVP bei der Trennung geschickt den sozialdemokratischen Genossen aufsetzen, obwohl man bei allen Großen Koalitionen und während fast all der Jahre mit am Regierungstisch gesessen hatte. Sebastian Kurz, selbst zuvor Staatssekretär und Minister, mimte den großen Erneuerer. Viele nahmen ihm das ab. Noch mehr tun es heute: Würde in Österreich der Kanzler direkt gewählt, gäben 44 Prozent Kurz die Stimme, so eine rezente Umfrage.

Der Mensch glaubt, was er glauben will. Gegen Fakten ist er oft erschreckend immun. Bis zu einem gewissen Grad ist das ein Schutzmechanismus, weil man sonst die eigene Position bei jedem Gegenargument ändern müsste.

Vor allem in politischen Belangen macht der Mensch da lieber gleich dicht. Man leistet sich einmal eine Meinung, und dann bleibt man dabei. Das geht so weit, dass das Herz der Österreicher beständig weiter rechts schlägt, sie es aber gar nicht dort verorten. Fragt man nämlich bei den Menschen zwischen Bodensee und Nickelsdorf nach, dann setzen sie den eigenen politischen Standpunkt auf einer Skala durchschnittlich auf den Wert 50, wenn 100 ganz rechte und der Wert 0 ganz linke Positionen bedeutet - ganz genau in die Mitte.

Rechts, das sind die anderen.

Legt man die Umfrage, sie stammt aus dem Jahr 2017, in einer Zeitreihe auf, zeigt sich, dass sich dieser Wert sich in den vergangenen 25 Jahren kaum verändert hat. Die Parteienlandschaft tat dies in dem Zeitraum natürlich sehr. 1994 formierte Franz Vranitzky sein IV. Kabinett, die SPÖ führte mit 34 Prozent vor der Volkspartei, die mit 27 Prozent fünf Prozentpunkte vor den Freiheitlichen lag. Die Grünen waren im Parlament. Das Liberale Forum hatte es auch knapp geschafft.

Die Österreicher betrachten sich heute weiter links stehend als sie sind.

Das menschliche Herz liegt zu zwei Dritteln links des Brustbeins. Es kann sich – da hat die Forschung ihre jahrzehntelange Position revidiert – bis zu einem gewissen Grad selbst erneuern. Rund ein Prozent der Herzzellen werden jedes Jahr bei jungen gesunden Erwachsenen ausgetauscht. Um ein neues Herz zu schaffen, wären also 100 Jahre notwendig. Das schafft kaum ein Mensch.

Das politische Herz wird durch Wahlen ersetzt. Alle fünf Jahre hätten die österreichischen Wähler in der Theorie – und in der Praxis noch öfters – die Möglichkeit dazu, ein anderes zu nehmen. Am Sonntag ist es wieder soweit. Wir werden sehen, inwiefern die Österreicher von der Möglichkeit Gebrauch machen werden.

Ich wünsche Ihnen frohe letzte Tage vor der Wahl,

Ihre Eva Konzett


Lesetipp

Gestern lief die Elefantenrunde in ORF 2. Nun ist es aber geschafft - und ich empfehle Ihnen den Text meiner Kollegin Nina Brnada über die ausufernde Anzahl des Formats der TV-Duelle, das ähnlich der Sitcoms in Dauerschleife "immer irgendwo und oft auf mehreren Kanälen gleichzeitig läuft". Kann man hier lesen.


Videotipp

Wenn Sie das Bewegtbild favorisieren, aber von TV-Duellen trotzdem Abstand nehmen wollen, gäbe es noch diesen Ted-Talk des mittlerweile verstorbenen schwedischen Arztes und Statistikers Hans Rosling, der entlarvend über die menschliche Bequemlichkeit spricht, die wir bisweilen an den Tag legen, um die eigenen Positionen und das eigene Wissen nicht hinterfragen zu müssen. Unterhaltsam ist es auch.


Termine

Und wenn Sie überhaupt dafür sind, Menschen in Fleisch und Blut zu erleben, können Sie zumindest in Wien Abschlussveranstaltungen der Parteien besuchen.

Die SPÖ lädt ab 17.00 ins Festzelt auf der Löwelstraße. Die FPÖ will den Leuten auf dem Viktor-Adler-Markt einheizen, ab 16.00. Die NEOS schließen ihren Wahlkampf auf dem Platz der Menschenrechte, Ecke Mariahilfer Straße/MuseumsQuartier ab, ebenfalls heute, ab 15.45 Uhr. Schon am frühen Nachmittag kann man Sebastian Kurz und die Volkspartei erleben: Ab 15.00 in Neustift am Walde im Heurigen Wolff. Und noch früher gibt es die Grünen, ab 10.00 im Sigmund Freud Park in Wien Alsergrund.


Hinweis

Und noch etwas: Die ungarische und polnische Pressefreiheit ist bedroht. Repressalien gegen die Journalisten, Attacken auf Zivilgesellschaft und Richterschaft stehen auf der Tagesordnung. Die Pressefreiheit wird Stück für Stück zerstört.

Der Falter hat deshalb Marton Gergely, leitender Redakteur des Wochenmagazins HVG in Budapest, und Bartosz Wielinski, Außenpolitikchef der Gazeta Wyborcza in Warschau, eingeladen. Sie berichten aus ihrem Alltag als Journalisten in einer zusehends unter Druck kommenden Presselandschaft. Wo? Heute um 19.30 Uhr im Albert-Schweitzer-Haus (Schwarzspanierstraße 13, 1090 Wien). Der Eintritt ist frei.


Heute Im Fernsehen

ORF 3, 20.15 Uhr: "WAHL 19: Die Wochenanalyse", die letzte.

Puls24, 20.15 Uhr: "Wahlkampf Live: Die letzten Stunden vor der Wahl", es wird vermutlich über die Wahl gesprochen.

ORF 3, 21.05 Uhr: Die "Runde der WahlbeobachterInnen" teilt mit Ihnen ihre Wahlbeobachtungen, wenn Sie mögen.

ORF 3, 23.05 Uhr: Die Sendung "zeit.geschichte spezial" klingt vielversprechend. Es geht um "Taferl & Co - Die legendärsten TV-Duelle der Zweiten Republik". Wie viele wohl aus dem Wahlkampf 2019 stammen?

ORF 3, 23.55 Uhr: Und nochmal "zeit.geschichte spezial", nochmal interessant: "Rote Katz und die bunten Vögel - Politische Werbung von damals. Schätze aus den Archiven der Nachkriegszeit zeigen, wie die Politik begann, das Potenzial des Fernsehens für ihre Zwecke zu nutzen."


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