Aschenputtel

Eva Konzett
Versendet am 11.10.2019

es hat das österreichische Parlament ein Stiefkind. In der öffentlichen Debatte so vernachlässigt, dass man kaum den Namen richtig kennt, den Bundesrat. Als zweite Kammer des Hohen Hauses und von den Ländern beschickt, fristet der Bundesrat ein wenig beachtetes Dasein. Er nickt normalerweise die Gesetzesvorschläge des Nationalrats ab.

Nun hat der Bundesrat aufgetrumpft. Die im Nationalrat im September mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit von Türkis, Blau und Pink beschlossene sogenannte "Schuldenbremse"*, also eine durch Verfassungsrang eingezogene Deckelung der Neuverschuldung, ist im Bundesrat steckengeblieben. Weil die "Schuldenbremse" einen Eingriff in die Bundesländerfinanzen und damit in die Länderzuständigkeiten bringen würde, kann der Bundesrat das Gesetz bei entsprechenden Mehrheiten ablehnen. Und diese hat er: Es gibt keinen von den NEOS beschickten Bundesrat, die ÖVP hält bei 22, die SPÖ bei 21 Mandataren, für die Grünen sitzen zwei Abgeordnete in der Kammer. Zwei Drittel der Stimmen gehen sich für die Ad-Hoc-Allianz nicht aus, insgesamt gibt es im Bundesrat 61 Stimmen.

Die Volkspartei gemeinsam mit den Freiheitlichen (und eben der Zustimmung der NEOS) hätte es gerne gesehen, dass die künftigen Finanzminister an eine kurze Leine genommen werden.

Die Kritiker der Maßnahme argumentieren damit, dass gerade bei niedrigen Zinsen und einer sich abkühlenden Konjunktur Geld aufgenommen werden soll, um zu investieren: In die Bildung, in Brücken und Straßen. In eine moderne IT-Infrastruktur. Dass das Land also für schlechtere Zeiten ausgerüstet werden soll, in dem das Fundament verbessert und instand gehalten wird.

Stiefmütter sind im Märchen Prototypen. Die Stiefmutter vernachlässigt die Stiefkinder willentlich. Allein derer 13 kommen in den Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm vor. Einen freundlichen Charakter hat keine von ihnen. Als "garstigen Unnütz in den Stuben" beschimpft die Stiefmutter etwa das arme Aschenputtel, dessen Schlafstatt in der Asche neben dem Herd dem Mädchen den Namen gibt.

Im Parlamentsgebäude am Ring musste sich der Bundesrat mit dem Vorzimmer des Nationalrats begnügen.

Der bösen Stiefmutter steht im Märchen das Stiefkind gegenüber, das gut und schlecht auseinanderhalten halten und die richtigen Entscheidungen trifft.

Wer mag sagen, dass es in der Politik nicht auch manchmal märchenhaft zugeht.

Ich wünsche Ihnen einen fabelhaften Tag,

Ihre Eva Konzett

P.S.: * Der Begriff der "Schuldenbremse" ist umstritten, da er durch die gegebene semantische Kombination positiv konnotiert ist. Ich verwende ihn aufgrund der weiten Verbreitung. Alternativen wie "Investitionsbremse" oder "Fiskalregel" sind außerhalb eines Fachpublikums kaum bekannt und mitunter unscharf.


Buchtipp

"Einen Ort, wo der Lärm so ohrenbetäubend war, wie er auf unserem Planeten nicht mehr zu hören war, seit die Komantschen zum letzten Mal mitten in der Nacht eine weiße Siedlung überfallen haben", so beschrieb 1897 der amerikanische Schriftsteller Mark Twain den österreichischen Reichsrat, seinerzeit das Parlament. Twain gastierte damals mehrere Monate in Wien und schrieb diese eindrücklichen Reportagen aus den frühen Tagen des österreichischen Parlamentarismus: "Reportagen aus dem Reichsrat 1898/1899", können Sie hier bestellen.


Lesetipp

Gestern wurden die Literaturnobelpreise für 2018 und 2019 vergeben. Der Polin Olga Tokarczuk wurde er für das Jahr 2018 vergeben und dem Österreicher Peter Handke für das Jahr 2019. Aus diesem Anlass haben wir ein schönes Gespräch aus dem Jahr 2012 freigeschaltet, das Klaus Nüchtern zum 70. Geburtstag von Handke mit ebendiesem führte: "Ein Geburtstagsgespräch über das Festefeiern und die Frauen, über Pilze und Peripherie, über das Schreiben und das Sticken" schrieben wir damals. Lesen können Sie es hier.


Aus Dem Falter

Bei uns im FALTER Verlag ist ein neues Buch erschienen, auf das wir gern hinweisen: "Geheime Pfade" heißt es, und es zeigt tolle Fotos von Durchhäusern, Hinterhöfen und versteckten Gassln in Wien. Hier können Sie nicht nur einige der großartigen Bilder ansehen, sondern das Buch auch bestellen!


Empfehlungen

Für die Augen: Die satirische Wochenschau mit Oliver Welke: In der "heute-show" geht es regelmäßig auch um Österreich! (ZDF, 22.30 Uhr)

Für die Ohren: Das Parlament hat auch einen Podcast. Adelheid Popp, eine der ersten Frauen im österreichischen Parlament, ist auch dabei - können Sie hier anhören wann immer Sie wollen!


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