Minderheiten - FALTER.maily #40

Nina Horaczek
Versendet am 15.10.2019

"Wenn es gar keine Möglichkeit gibt, eine Koalition zu bilden, dann gäbe es allenfalls noch immer die Möglichkeit einer Minderheitsregierung - sollte eine andere Partei bereit sein, diese Minderheitsregierung im Parlament zu stützen", erklärte ÖVP-Chef Sebastian Kurz vergangenes Wochenende noch bevor die Regierungsverhandlungen begonnen haben.

Nachtigall, ick hör' dir trapsen, würde der Berliner dazu sagen. Denn schließlich hat Wahlsieger Kurz nicht eine, sondern gleich drei Koalitionsoptionen. Die Grünen stehen für Verhandlungen bereit, die Roten würden wohl unter Umständen auch mitmachen, selbst die von den Wählern abgestraften Blauen könnten aus der Opposition in Richtung Regierungsbank umfallen. Warum also der türkise Wink mit einer Minderheitsregierung?

Weil aus ÖVP-Sicht einiges dafür spricht: Sebastian Kurz könnte seine Mitte-Rechts-Politik ohne Kompromisse fortsetzen. Er könnte sich von der FPÖ stützen lassen, so wie dies auch Rechtsaußen-Politiker Geert Wilders in den Niederlanden oder die rechte Dänische Volkspartei mit den Konservativen taten. Die FPÖ könnte sich in der Opposition sanieren und stünde dann wieder als Koalitionspartner bereit. Und natürlich kann die ÖVP mit dem Hinweis auf eine mögliche Minderheitsregierung den Druck auf ihre Verhandlungspartner erhöhen.

Was dagegen spricht: vieles. Erstens müsste Kurz den Österreichern eine solche instabile Regierungsform, die sie gar nicht kennen, schmackhaft machen. Zweitens müsste er allen drei Parteien, mit denen er eine theoretische Mehrheit hat, den schwarzen Peter zuzuschieben. Beim Zustand von SPÖ und FPÖ ist das eine leichte Übung. Bei den Grünen wird es schwieriger. Die wiederauferstandenen Ökos wollen regieren und signalisieren Kompromissbereitschaft. Dass sowohl ÖVP als auch Grüne nach fünf Jahren konservativ-ökologischer Koalition in Vorarlberg bei den Landtagswahlen am Wochenende dazu gewonnen haben, stärkt die Türkis-Grün-Fraktion in der ÖVP. Ebenfalls nicht vergessen sollte man die Rolle von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dessen Sympathien wohl eher bei einer stabilen Koalition als einer instabilen Regierungsform mit Ablaufdatum liegen.

Sollte die ÖVP also den Geheimplan einer Minderheitsregierung haben, wird sie sich eine sehr gute Argumentation einfallen lassen müssen. Falls Sie sich aber schon jetzt in diese für Österreich ungewöhnliche Regierungsform einlesen wollen, finden Sie eine von Barbara Toth und mir verfasste Anleitung zur Bildung einer Minderheitsregierung hier. Verfasst haben wir sie schon 2013, aber Sie wissen ja, wir vom Falter sind early birds. Deshalb wünsche ich Ihnen jetzt einen guten Morgen!

Ihre Nina Horaczek


Buchtipp

Raphaela Edelbauer und Tonio Schachinger sind zwei Österreicher, die auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises standen. Gewonnen hat ihn Saša Stanišić mit seinem Roman "Herkunft". Daniela Strigl hat ihn für uns im Frühjahr rezensiert: "In seiner Aversion gegen den 'Zugehörigkeitskitsch' schaut Stanišić sich genau auf die flinken Finger und wendet sich ausdrücklich auch an den Leser, 'der an der ironischen Vervielfältigung von Vorurteilen und Klischees keine Freude hat'." Die ganze Rezension lesen Sie bei uns im Faltershop, dort können Sie das Buch auch bestellen.


Aus Dem Falter 1

Sie haben die Vermutung, Österreichs Medienpolitik sei eine Katastrophe? Dann ist unser aktueller Podcast etwas für Sie, denn dort geht es um genau diese Frage. Zu beantworten versucht haben neben Falter-Herausgeber Armin Thurnher auch Heute-Chefredakteur Christian Nusser, APA-Geschäftsführerin Karin Thiller, Wiener Zeitung-Chefredakteur Walter Hämmerle und ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz. Hier können Sie die Diskussion anhören.


Aus Dem Falter 2

Politologin Petra Bernhardt von der Uni Wien hat sich für unseren Falter-Think-Tank die Bildpolitik der Regierungsverhandlungen angesehen. "Sich über politische Inszenierung lustig zu machen kann auch eine Form politischer Partizipation sein", schreibt sie hier.


Empfehlung

"The Loudest Voice": Roger Ailes war Medienberater dreier republikanischer US-Präsidenten und von 1996 bis 2016 Chef von Rupert Murdochs Fox News. Er trat zurück, nachdem mehrere Frauen öffentlich gemacht haben, dass er sie sexuell belästigt habe. 2017 starb er. In "The Loudest Voice" wird sein Leben verfilmt, Russell Crowe spielt die Hauptrolle. Diese Miniserie können Sie sich zum Beispiel bei Sky X ansehen.


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