Sondieren - FALTER.maily #50

Barbara Tóth
Versendet am 26.10.2019

„sondieren“ ist das innenpolitische Wort der Woche. „Sondierungen“ gibt es erst seit den Nationalratswahlen 1999. Damals erfand Bundespräsident Thomas Klestil dieses Vorgeplänkel zu echten Koalitionsverhandlungen, um ein wenig Druck aus dem Ganzen rauszunehmen. 

Sondieren sollte heißen: Abkühlen, zur Räson kommen. Eigentlich wollte Klestil, dass sich SPÖ und ÖVP noch einmal zur Großen Koalition zusammenreißen. Tatsächlich verhandelte der damalige ÖVP-Chef (und bei den Wahlen nur drittplatzierte) Wolfgang Schüssel hintenrum mit FPÖ-Chef Jörg Haider die erste schwarz-blaue Koalition.

Sondierungen enden mitunter also ganz anders als intendiert.

Sondieren anno 2019 heißt vorerst einmal: Herumreden, bis die steirischen Landtagswahlen am 24. November geschlagen sind. Sebastian Kurz nimmt damit Rücksicht auf den Wahlkampf seiner steirischen Landespartei. Das erinnert eher an schwarz als türkis, an alte Parteilogik als neuer Stil. Zu recht haben sich deshalb SPÖ und Neos vom Sondieren verabschiedet, sie stehen nur für konkrete Verhandlungen bereit.

Wer weiß, wie wir in Zukunft sondieren werden? Vielleicht mit Hilfe von Quantencomputern, die binnen Millisekunden die Schnittmengen zwischen ÖVP und Grünen berechnen, plus die Wahrscheinlichkeit, an welchen Projekten Türkis-Grün wann scheitern könnte. Apokalyptisch? Lesen Sie diesen Beitrag in der Süddeutschen.

In diesem Sinne, ein sondierungs- und sorgenfreies Wochenende wünscht

Ihre Barbara Tóth


Lesetipp

Wir bleiben bei Quantencomputern: Andrian Kreye argumentiert in der SZ, wie wichtig es ist, früh über wissenschaftliche Entwicklungen zu diskutieren: "Über Atomenergie wurde viel zu spät, über Biotechnologie rechtzeitig diskutiert. Ersteres führte zu Katastrophen - Zweiteres zu meist sinnvollen Fortschritten."


Empfehlung

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Linktipp

Über den Brexit ist schon viel geschrieben worden, unter anderem auch bei uns im Falter diese Woche (hier und hier, hören können Sie darüber hier). Einen etwas anderen Blick auf den Brexit wirft im New York Times Magazine Christoph Niemann. Er ist ein weltweit bekannter Illustrator, vielleicht kennen Sie ihn aus der Netflix-Serie "Abstrakt. Design als Kunst". Er ist nach London gereist und hat den Brexit in dieser Geschichte ganz großartig illustriert: "The Breakup. A dispatch from Brexit-crazed London."


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