Der Klang des Geldes

Eva Konzett
Versendet am 14.12.2019

wie halten Sie es mit den Bettlern? Bei meinen Bekannten kommen verschiedene Strategien zum Einsatz. Die Einen geben zum Beispiel aus Prinzip nichts. Andere überlassen der Bettlerin im Billa-Eingang den Einkaufswagen mit dem Ein-Euro-Stück im Verschluss. Meine Vorarlberger Mutter verteilt ihre Kupfergeld an jeden und jede, aber nur, solange sie Münzen in ihren Jackentaschen findet. Das Konzept erweist sich beim Wien-Besuchen als wenig praktikabel. Nach wenigen Straßenzügen ist sie leergeräumt. 

Rund 700 Bettler sollen in Wien sein. Fast alle kommen aus Osteuropa. Sie sitzen auf ihren zugeschnittenen Pappkartons. Sie fordern die Gesellschaft heraus. Sie stehen für Armut in ihrer krudesten Form.

Dass diese Menschen auf den Wiener Straßen ausgebeutet werden, dass irgendwo in Rumänien oder Bulgarien einer sitzt, ein Bulibașa, ein Roma-König, der sich auf ihrem durchgefrorenen Rücken ein Luxusleben leistet, daran haben viele Österreicher keinen Zweifel. 

Das Bundeskriminalamt schätzt, dass in Wien fünf bis zehn Prozent der Bettler zum Betteln gezwungen werden. Das sind zu viele. Eine flächendeckende Bettelmafia schaut aber anders aus.

Es stimmt: Fast zwei Drittel der Bettler kommen "organisiert". Der Transport, die – überteuerte – Unterkunft im Massenquartier, mitunter sogar die Bettelplätze werden ihnen gestellt. Sie betteln freiwillig. Sie können nicht anders.

Die Menschen fahren auf Montage, nur haben sie kein Werkzeug dabei.

In der siebenbürgischen Gemeinde Țichindeal leben an den Dorfausläufern am Hang rund 50 Familien in Verschlägen. Ohne Strom. Ohne Kanal. Schweine und Hühner staksen rund um die Feuerstelle. Die Kinder sitzen daneben. Weder die einen noch die anderen sollen erfrieren. Die Frauen gebären im Jahrestakt. Eine offizielle Adresse hat niemand.

Ich war vor ein paar Jahren in Țichindeal. Es gibt unzählige Țichindeals in Rumänien. In Bulgarien heißen sie anders. Es macht keinen Unterschied. Eine wirkliche Chance hat niemand, der hier aufwächst. Nicht einmal eine Möglichkeit.

Die osteuropäischen Staaten exportieren ihre äußerste Armut über die Grenze. Das Bild des Bulibașa-Königs als Strippenzieher im Hintergrund täuscht eine singuläre Erklärung vor, wo es unzählige Gründe gibt. 

So einfach ist unsere Welt leider nicht.

Ich wünsche Ihnen ein fabelhaftes Wochenende,

Ihre Eva Konzett


Hörtipp

Den Wahlen in Großbritannien widmet sich der aktuelle Podcast im Falter Radio: Wie Boris Johnson und Jeremy Corbyn ihr Land und Europa verändern. Ein Erklärstück mit der London-Korrespondentin Tessa Szyszkowitz und Misha Glenny (London).


Ganz Was Anderes

Der Verfassungsgerichtshof hatte dieser Tage viel zu tun. So hat er am Freitag ein Erkenntnis in Sachen Zusammenlegung der Krankenkassen veröffentlicht. 14 Beschwerden hatte es gegen das Türkis-Blaue Herzensprojekt gegeben. In den Kernpunkten der Reform sehen die Höchstrichter keine Probleme. Die Fusion der neun Gebietskrankenkassen zu einer Österreichischen Gesundheitskasse ist rechtskonform. Ebenso die paritätische Besetzung des Verwaltungsrats dieser ÖGK. Hier hatten Arbeitnehmer gegenüber Arbeitgebern bislang die Mehrheit.

Das groß betrommelte "Sicherheitspaket" der ÖVP-FPÖ-Koalition hingegen haben die Höchstrichter Mitte der Woche in wesentlichen Teilen gekippt. Es wird der "Bundestrojaner" ebenso nicht kommen wie die automatische Erfassung von Kfz-Kennzeichen.


Empfehlung

Wenn in einem Haushalt zwei Personen gleichzeitig an einem Buch lesen, die fortschreitenden Lesestati mit unterschiedlichen Lesezeichen versehen, dann muss ein ein richtig gutes Buch sein. "In Zeiten des abnehmenden Lichtes" des deutschen Autors Eugen Ruge erzählt vom Leben in der DDR. Das Buch kam vor acht Jahren heraus. 30 Jahre nach dem Mauerfall kann eine Relektüre nur empfohlen werden.


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