Wien bei Nacht

Lukas Matzinger
Versendet am 23.12.2019

ich schreibe diese Nachricht im Landeanflug auf Wien, von Tel Aviv kommend. Die israelische Strandstadt soll sehr schön sein, ich konnte es nicht überprüfen, weil es fast immer dunkel war.

Es gibt inzwischen viele Städte, die von vielen nur zum Feiern bereist werden. Die politische Clubkultur von Tiflis ist bemerkenswert, die Technohauptstadt Berlin ist nie ein Fehler.

Wien ist keine dieser Eskapismusstädte.

Das hat auch politische Gründe. Der Lärmschutz der Anrainer ist hier heilig, die Stadt verschiebt die Sperrstunde (sechs Uhr) nur ungerne, die Anlagengenehmigungen sind anspruchsvoll. Das ergibt: kaum Clubbings bis zum Vormittag, kaum Open-Air-Partys, kaum Raum für Experimente. Also wenig, wovon Partygänger träumen.

Der strenge Magistrat setzt den politischen Willen um. Beamte halten sehr regelmäßig Nachschau, in welcher Entfernung Lokale noch zu hören sind, ob drinnen alle Gänge frei und die Mitarbeiterräume richtig temperiert sind. Beim Absturzcafé Concerto ist das kürzlich zur Schikane ausgeartet: Dessen Chef bekam hunderte Anzeigen nach der Gewerbeordnung, weil seine Gläser keine Eichmaße und die Getränkekarten keine Währungsangaben aufwiesen. Wenn Vertreter der Stadt das Nachtleben nur durch Korn und Kimme sehen, schlägt die exzellente Ordnung des rot-grünen Wiens in Lustfeindlichkeit um.

Die Tourismuswerbung der Stadt hat es nie wirklich auf junge Besucher abgesehen. Wien ist gediegen und sauber gekehrt, gemessen an seinem Vorgänger ist der Bürgermeister Michael Ludwig eine Ikone des Gemäßigten. Sein Wien ist eine offene Weltstadt, aber mit Benimmregeln, durch die Alkoholverbotszone gehen wir in die essfreie U-Bahn. Ludwig lässt den Bürokratismus manchmal gegen den Liberalismus gewinnen.

Nun beleuchtet ein Silberstreif das Firmament. Am Donnerstag vergangener Woche hat der Wiener Gemeinderat beschlossen, dass er das Pilotprojekt "Vienna Club Commission" mit 290.000 Euro fördern wird. Daraus soll irgendwann eine Einrichtung erwachsen, die zwischen Clubbesitzern, Veranstaltern, Anrainern, Magistrat und Politik vermittelt.

Ähnliche Nachtbürgermeister-Stellen haben schon in vielen Städten Verständnis für Clubkultur geschaffen. Vielleicht wird das ja doch noch was, mit Wien und der Nacht.

Ihr Lukas Matzinger


Gut

Vor eineinhalb Jahren hat das Wiener Partykollektiv hausgemacht etwas riskiert. Sie veranstalteten ein Technoclubbing, bei dem die meisten Besucher Reizwäsche trugen und manche miteinander schliefen. In Berlin waren solche "Sex Positive"-Partys üblich, aber würde das auch im braven Wien funktionieren? Tat es. Inzwischen sind die "Zusammen kommen"-Abende Stadtgespräch, bei der siebenten Ausgabe vor einem Monat standen die Menschen vor der Grellen Forelle fast hundert Meter Schlange. Die nächste Sause steigt am 14. Februar. Valentinstag!


Empfehlung

Sollten Sie ein spätes Weihnachtsgeschenk suchen, fiele mir da etwas ein, über das sich Omas wie Studenten freuen, das unkompliziert und doch ergiebig, speziell und doch nicht verstiegen ist, das Spaß macht ohne anspruchslos zu sein, das sich für Einzelne und ganze Haushalte eignet, und das nicht viel sehr kostet, obwohl es aus Österreich kommt. Hier lang.


Zum Hören

Auch ein schönes Geschenk: Der algerische Sänger und politische Liedermacher Mohamed Mazouni wanderte nach Frankreich aus und ließ sich von den Chansons und vom Rock 'n' Roll beeinflussen. Er sang in einer Mischung aus französischer und arabischer Sprache. Heuer erschien die Platte "Un Dandy en Exil (Algérie-France 1969–1983)", hier hören Sie das schönste Lied daraus.


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