Eine Frage der Moral - FALTER.maily #1051
Anstand und Moral haben sich in der Debattenkultur einen fragwürdigen Ruf erworben. Wenn Argumente fehlen, kann man sich immer noch auf die ...
das Impeachment von Donald Trump steht am Höhepunkt. Vor dem Senat findet diese Woche die Auseinandersetzung zwischen Anklägern und Verteidigern des US-Präsidenten statt. Viele Europäer glauben, das sei eine rein amerikanische Angelegenheit. Zu Unrecht. Ich fürchte wir unterschätzen, welche tiefen Auswirkungen das Amtsenthebungsverfahren im fernen Washington DC auf uns alle haben wird. Vom Verlauf des Verfahrens wird entscheidend abhängen, ob wir weltweit ein autoritäres Zeitalter bekommen. Ein solcher Trend wird auch Europa nicht auslassen. Abgesetzt wird der amerikanische Präsident wohl nicht. Der Horizont sind die US-Präsidentschaftswahlen vom 3. November. Würde der selbstherrliche Trump nach einem Freispruch durch den Senat auch noch die Wahlen gewinnen, wäre er die folgenden vier Jahre nicht mehr zu stoppen.
Wer wird für die amerikanische Öffentlichkeit in den nächste zwei Wochen überzeugender sein? Die Apologeten des autoritären Demagogen im Weißen Haus oder die Kritiker, die in Trump eine Gefahr für Rechtsstaat und Gewaltentrennung sehen? Warum es für die Demokraten nicht einfach ist die amerikanische Öffentlichkeit von den beiden Anklagepunkten Amtsmissbrauch und Missachtung des Kongresses zu überzeugen, untersuche ich in der außenpolitischen Kolumne im aktuellen Falter.
Ich bin zwar kein Jurist. Aber die Winkelzüge, die dieser Tage 24 Stunden auf CNN und anderen US-TV-Sendern in allen Details diskutiert werden, finde ich faszinierend. In der New York Review of Books erklärt Noah Feldman unter dem Titel "Is Trump above the law?", warum es um viel geht.
Eines ist unbestreitbar: der Einsatz ist hoch bei den Tricks und Winkelzügen, mit denen dieser Tage im Kapitol in Washington gearbeitet wird.
Mit herzlichen Grüßen und alles Gute für den Tag
Ihr Raimund Löw
P.S.: Im gestrigen Maily hat Ihnen Florian Klenk von der Verspätung seines Nachtzuges berichtet. Dazu sendet er einen Nachtrag: "Wie wir eine Stunde nach Versand des Mailys erfahren haben, kam in Polen ein Mensch am Gleis ums Leben. Nicht das überlastete Schienennetz war verantwortlich für die Verspätung, sondern ein menschliches Drama. Wie schnell sich ein kleiner Ärger über zwei versäumte Stunden relativiert."
Im heutigen Podcast Falter Radio gehen wir einem anderen in Österreich viel diskutierten Thema nach: wie hängen unser Klima und unsere Steuern zusammen? Bekanntlich plant Türkis-Grün eine ökosoziale Steuerreform. Welche Vorbilder gibt es, etwa in der Schweiz oder in Kanada? Wie sehen die Optionen für einen sozialen Ausgleich aus? Eine große Reform soll dazu betragen Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Österreich soll dann so umgebaut sein, dass nur mehr so viel CO2 ausgestoßen wird, als die Wälder Österreichs Treibhausgase aufnehmen. Ein riesiges Unterfangen. Bei mir diskutieren Verbund-Vorstandsvorsitzender Wolfgang Anzengruber, Greenpeace-Chef Alexander Egit, der Ökonom und Steuerexperte Bruno Rossmann und Falter-Redakteurin Barbara Tóth.
Vielleicht haben Sie Lust und Zeit in den Meinungsaustausch unserer Expertenrunde hineinzuhören und das für Viele neue Medium Podcast zu testen.
The Daily, der Podcast der New York Times, wirft aus Anlass des Impeachments von Donald Trump einen Blick zurück auf das Amtsenthebungsverfahren gegen Bill Clinton 1999. Der Anlass war Clintons Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky, die er lange Zeit verleugnet hatte. Eine ziemlich lächerliche Causa, vergleicht man sie mit der Anklage gegen Trump. Clinton wurde freigesprochen.
In Brasilien bedroht die Staatsanwaltschaft den prominenten US-Aufdeckungsjournalisten Glenn Greenwald. Greenwald betreibt in Sao Paulo die Online-Plattform The Intercept, die gehackte Telefonkontakte veröffentlicht hat, die Justizminister Sergio Moro schwer belasten. In seiner früheren Funktion als oberster Richter hatte Moro mit Staatsanwälten konspiriert, um Ex-Präsident Lula ins Gefängnis zu bringen. Der brasilianische Verband investigativer Journalisten spricht von einer Bedrohung der gesamten Branche.
In Europa ruft der Kolumnist der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl zur Verteidigung des Wikileaks-Gründers Julian Assange auf, mit dem Greenwald früher zusammen gearbeitet hat. Assange droht die Auslieferung aus einem britischen Gefängnis in die USA. Kommenden Samstag gibt es in Wien eine Mahnwache für Assange.