#Terror

Eva Konzett
Versendet am 21.02.2020

in der Nacht auf Donnerstag hat im deutschen Hanau ein Mann zehn Menschen und sich selbst erschossen. Er tat es aus Rassismus. Ein rechter Terroranschlag. Kein Amoklauf.

Die Benennung ist wichtig. Dass die EU-Kommissionspräsidentin, die deutsche Ursula von der Leyen, die Tat als "Tragödie" bezeichnete, hat man ihr zu Recht angekreidet. Eine Brücke stürzt ein, eine Tragödie passiert. Das Morden in Hanau hat der Täter gewollt. Wer von "Fremdenhass" spricht, ignoriert indes – wenn auch gar nicht intendiert – , dass die Opfer Teil der Gesellschaft sind, der deutschen oder der österreichischen.

Sie selber stellen diese Zugehörigkeit nicht in Frage. Es sind die Attentäter und ihre ideologischen Wegbereiter, die von "Bevölkerungsaustausch" und "Volkstod" fantasieren. Ihre Verschwörungstheorien angereichert mit rechtsextremen Versatzstücken ziehen die Trennlinie.

Wie aber darüber berichten, ohne sich zum Handlanger der Extremisten zu machen? Wo endet der Journalismus, wo fängt Clickbait an? Die Redaktionen stehen unter Druck: Wenn sie nichts vermelden, tun die anderen es auf jeden Fall. #Hanau trendete gestern Nachmittag unweigerlich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Auf Facebook flimmerten Minuten nach der Tat Handyvideos von Augenzeugen oder Anrainern in den Feeds. Stephan B., der an Jom Kippur im deutschen Halle an der Saale eine Synagoge stürmen und dort ein Blutbad anrichten wollte, sendete seine Mordtour (er erschoss zwei Passanten) live über eine Gamingplattform.

Die digitale Öffentlichkeit fordert Nachrichten in Echtzeit und damit ein journalistisches Oxymoron: Der Nachricht lägen Abwägung, Einordnung, Recherche, Faktencheck zugrunde. Sie entsteht.

Am Mittwoch Abend um 23:49 Uhr hatte die österreichische Nachrichtenagentur APA rot die Alarmmeldung in die Redaktionen getickert. Spätestens am Donnerstag in der Früh richteten die Tageszeitungen Liveblogs ein. In seriösen Redaktionen hat es sich mittlerweile eingebürgert, das Eingeständnis des eigenen Unwissens jedweder Spekulationen vorzuziehen. "Was wir wissen und was wir nicht wissen" ist ein Kernelement der Berichterstattung nach Terroranschlägen geworden. Es geht um Transparenz. Es geht aber auch darum, nicht die PR der Terroristen zu übernehmen, wie der der Extremismusforscher Peter R. Neumann im Dezember dem Falter erklärt hat.

Die Aufgabe des Journalisten ist es nicht, als erster eine Antwort zu haben. Sondern dann eine Antwort geben zu können.

Zwei Stunden nach dem Terrorakt fabulierte die deutsche Bild vom Krieg zwischen russischen und kurdischen Clans. Die österreichische Schwester im Geiste, die Kronen Zeitung, schrieb in ihrer Online-Ausgabe über "Indizien für eine Tat im Bandenmilieu". Da schlug die Uhr 1:12.

Zwei Stunden später fanden die deutschen Spezialeinheiten den Täter tot in seiner Wohnung. Ein Deutscher. Ein Bankkaufmann.

Ich wünsche Ihnen trotz alledem einen guten Tag,

Ihre Eva Konzett


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