Verkehrswende - FALTER.maily #158

Tom Rottenberg
Versendet am 06.03.2020

natürlich erzähle ich Ihnen heute von einem Nicht-Thema, so global gesehen; es gibt Wichtigeres als übergroße Schrägparker. Das sagt einem nicht nur der Hausverstand, sonder auch jeder Parksheriff: Ob man keine anderen Sorgen habe?

Schließlich sei das ein legaler Parkplatz. Darum werde weder gestraft noch abgeschleppt. Denn ein Auto ist eben so lang wie es lang ist. Und auch wenn das eine Spur länger als der Parkplatz ist: Die Welt geht wegen einer Motorhaube, die auf Radweg oder Gehsteig ragt, nicht unter.

Stimmt. Es gibt auch Wichtigeres als die Frage, wie sechs-Meter-SUVs und Kleinlaster in Vier-Meter-Parkplätze passen, die auf PKW-Normgrößen ausgelegt sind. Obwohl diese Normen von der automobilen Größenwirklichkeit längst überholt sind und nie für Lieferwägen und Kleinlastwägen galten.

Allerdings kommen solche Relativierungen nur von Leuten, die von "Überragern" weder behindert noch gefährdet werden: Wer am Rad permanent Ladeflächen oder Anhängerkupplungen ausweichen muss, wird grantig. Wer mit dem Kinderwagen ständig auf die Fahrbahn muss, weil Gehsteige unpassierbar sind, ebenfalls. Denn so zu parken ist mancherorts längst Normalität, zeigen „Da steht etwas am Gehsteig“ oder „Things on Bikelanes“.

So banal das Problem ist, ist es doch ein Puzzlestein mehr, der real existierende Wiener Verkehrsprioritäten illustriert: Anderswo - und da reden wir nicht von Kopenhagen, sondern von Linz - werden Nicht-Auto-Verkehrsflächen mittlerweile mit Pollern geschützt. (Die ließ - ausgerechnet - der FP-Vizebürgermeister aufstellen.) Während in deutschen Städten Einsatzgruppen mit Straf-Fokus auf Geh- und Radwegblockierer eingerichtet werden, werden in Wien Radspeichenreflektor-Quadratzentimeter polizeilich nachgemessen oder morgens Alko-Planquadrate am Ring-Radweg veranstaltet.

Solche Details sind ein Lackmustest. Ein Faktencheck zu politischen Sonntagsworten über die „Verkehrswende“, ohne die die Klimawende … - Sie wissen, wie es weitergeht. Während in Paris Bürgermeisterwahlen mit der Ansage vermutlich gewonnen werden, 72 Prozent der Parkplätze im Stadtgebiet abzuschaffen, hat man von Wiens Michael Ludwig noch kein Wort gehört, das die Bewegungs- und Abstellfreiheit von Autos per se in Frage stellt. Im anlaufenden Wiener Wahlkampf wird Ludwig damit sicher nicht beginnen.

Sicher ist dagegen eines: Wer wegen Autos herummotzt, die Geh- oder Radwege blockieren, ist ein Querulant. Der hat wohl keine anderen Sorgen.

Doch in Summe ergibt all das eben ein Bild - und mit dem im Kopf wünsche ich Ihnen einen Tag, an dem jedem kleinen Ärger drei große Lacher gegenüberstehen.

Ihr Tom Rottenberg


Worauf Wir Achten

Krisen- und Kriegszeiten sind Zeiten geballter Desinformation. Sie fordern auch klassische Medien heraus, zumal dann wenn im Netz Videos und Fotos kursieren. Was ist wahr? Was kann man glauben? Wer schickt welche Nachrichten mit welcher Absicht auf den Weg? Welcher Account ist gefälscht? Kollege Klenk hat eine Geschichte aufgeschrieben, die sich mit genau diesen Fragen beschäftigt; er erzählt von einem syrischen Flüchtling, der im türkisch-griechischen Grenzgebiet erschossen worden sein soll. Der Text zeigt, wie Fact-Checking und Journalismus in Zeiten der sozialen Medien funktioniert. Auch Nicht-Abonnenten können seinen Text hier lesen.


Zum Hören

In unserem neuen Buchpodcast gibt es jetzt die zweite Folge anzuhören - Moderatorin Petra Hartlieb spricht mit der 96-jährigen österreichischen Literatin Ilse Helbich. Wir versprechen nicht zu viel, wenn wir hier ein ganz besonderes Gespräch ankündigen. Anhören können Sie es auf falter.at/buchpodcast oder in Ihrer Podcast-App. Wenn Sie uns helfen wollen, freuen wir uns, wenn Sie ihn abonnieren, bei Apple Podcasts bewerten oder den Link an Freundinnen und Freunde weiterschicken, die vielleicht noch nicht davon gehört haben.

Eine Kleinigkeit haben wir auch auf unserer Website falter.at umgestellt: Weit oben auf der Startseite finden Sie nun unsere aktuellsten Podcast-Folgen und Ein-Minuten-Videos, die können Sie direkt dort anhören und ansehen.


Fundstücke

Dem Umgang mit dem Corona-Virus und der grassierenden Hysterie und Panik ist nicht nur die Coverstory des aktuellen FALTER und das jüngste Ein-Minuten-Video auf FALTER-TV gewidmet, auch im Podcast mit Raimund Löw werden Folgen und Auswirkungen der Seuche debattiert.

Dass das, was uns Angst macht, auch Künstler beschäftigt, ist nicht neu – auch wenn sich eine eigene "Coron-Art" erst entwickeln muss. In Wien-Margareten findet sich da eine interessante Auseinandersetzung mit dem Virus. Der Name des Künstler steht nirgendwo, dem Vernehmen nach handelt es sich um eine Arbeit von Benjamin Angerer.

Über den Umgang der Künstler vergangener Epochen mit Seuchen und Katstrophen hat übrigens Stefan Weiss vergangene Woche im Standard einen schönen Beitrag zum Bildungslückenschluss geleistet.


Ganz Was Anderes

Wann waren Sie das letzte Mal im Museum? Was genau haben Sie da gesehen – und auch mitgenommen? Oder gehören auch Sie zu den Menschen, die in Museen und Galerien vor lauter geballter Kunst die Werke nicht mehr sehen? Falls dem so ist, lege ich Ihnen die App "KHM-Stories" des Kunsthistorischen Museums ans Herz. Die nimmt Sie (Erwachsene ebenso wie Kinder) an der Hand und führt dann auf Thementouren quer durchs Haus.

Kompetent, spannend und informativ - inklusive Querverweise und Links – geht es da zu weltberühmten Werken ebenso wie unter Garantie ständig Übersehenem. Doch statt der Geschichte von Werk und Schöpfer wird der Fokus auf den roten Faden der Tour gelegt. Bei "Schnee von gestern", der jüngsten Tour in der App, geht es um Klimawandel, Ressourcenvernichtung, Artensterben und Overtourism. Und zwar über Details in Bildern von u.a. Bruegel, Rubens oder Canaletto. So schlau gemacht, dass sogar von apokalyptischen Szenarien angeblich übersättigte Menschen fasziniert hören, schauen und lesen – und endlich wieder mehr statt weniger wissen wollen.


Das FALTER-Abo bekommen Sie hier am schnellsten: falter.at/abo
Wenn Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet wurde und er Ihnen gefällt, können Sie ihn hier abonnieren.
Weitere Ausgaben:
Alle FALTER.maily-Ausgaben finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!