Schifoan - FALTER.maily #164

Gerhard Stöger
Versendet am 13.03.2020

wie tausende österreichische Jugendliche haben auch meine Töchter demnächst unerwartet schulfrei. Was wie ein wahr gewordener Traum klingt, sorgt bei ihnen für Unbehagen. Die 17-Jährige hätte im Mai Matura, nun heißt es vorläufig Home Office statt letzte Schularbeiten und kollektive Vorbereitung. Die 15-Jährige hat die Nachricht verlängerter Osterferien ebenfalls mit einem missmutigen Emoji quittiert.

Ihre Nachricht kam von der Wintersportwoche in Salzburg. Sie hatte Glück im Corona-Unglück: Während die Parallelklassen, die erst später fahren sollten, um den Schneespaß umfallen, stand sie gerade einige Tage auf dem Snowboard. Hausübungen, Prüfungen, frühes Aufstehen, all das wird sie in den kommenden Wochen nicht vermissen. Doch der fehlende tägliche Kontakt mit Freundinnen und Freundin wiegt schwerer.

Denke ich an meinen eigenen Lieblingsskikurs im Winter 1987 in der dritten Klasse Sporthauptschule, sehe ich keine Piste vor mir, sondern acht Buben, die in ein winziges Zimmer gepfercht sind und am ersten Abend H. bestaunen, der demonstriert, wie schnell er einen Sack voll hartgekochter Eier verdrücken kann. Danach packt er feierlich seine Europe-Kassette aus, und wir hören immer wieder „The Final Countdown“; das Abspielgerät hatte K., der liebe Trickser mit dem Gewaltproblem, aus seinem Koffer gezaubert. Anschließend halten die beiden dem staunenden Rest noch Vorträge zu Mädchen im Allgemeinen und die Kunstfertigkeit des Schmusens im Speziellen.

Unsere familiären Hintergründe waren so unterschiedlich wie unsere Fertigkeiten auf der Piste. An diesem Abend in diesem Zimmer war davon nichts zu spüren. K. landete wenige Jahre später bereits als Jugendlicher erstmals im Gefängnis, H. wurde Straßenarbeiter. Und der Rest der Gang? A. ging in die Politik, M. wurde Computerexperte, L. Gastronom, C. gehört einer polizeilichen Eliteeinheit an und W. bekam ein Drogenproblem.

Ich bin gespannt auf die Geschichten, die meine Tochter heute Abend vom Skikurs erzählen wird.

Ihr Gerhard Stöger


Zum Lesen

Als Kärntner Dorfbub habe ich beträchtliche Teile meiner Kindheit und Jugend auf Skiern verbracht, später aber bewusst Abstand zum Alpinsport gehalten. Weil er kapitalistische Kackscheiße ist (Einschätzung früher) bzw. weil es sich um ökologischen Irrsinn handelt (Einschätzung heute). Passionierte Skifahrer in meinem Freundeskreis lassen sich davon nicht beirren. Einer davon, Wolfgang Kralicek, hat im Falter-Verlag sogar ein Buch über die Möglichkeiten veröffentlicht, im Wiener Umland dem Wintersport zu frönen.


Zum Hören

„Schifoan“ von Wolfgang Ambros ist die heimliche österreichische Nationalhymne. Die Metal-Superstars Metallica haben das 1976 veröffentlichte Lied vergangenen Sommer bei ihrem Konzert im Wiener Ernst-Happel-Stadion gecovert. Einen verwackelten Handymitschnitt finden Sie hier.


Aus Dem Falter

Thomas Rottenberg geht im aktuellen Falter der Frage nach, warum der Schulskikurs, einst Pflichtprogramm aller österreichischen Schülerinnen und Schüler, heute immer weniger Zuspruch findet.


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