Laufen Sie! - FALTER.maily #182

Tom Rottenberg
Versendet am 03.04.2020

das klingt jetzt vielleicht blöd. Aber: Wurden Sie schon einmal "Mörder" - oder "Mörderin" - genannt? Ohne jede Ironie, ohne Schalk im Nacken – sondern bier- also todernst? Nein? Schön für Sie.

Mir widerfuhr ebendies unlängst. Irgendwo im Nirgendwo zwischen den Feldern südlich von Wien überholte mich auf dem - für nichtlandwirtschaftliche Fahrzeuge eigentlich gesperrten - Feldweg eines dieser Moped-Alki-Autos. Es hielt an. Der Fahrer ließ das Fenster runter: „Du Mörder! Du bringst uns um! Schleich dich nach Hause!“ Dann gab er Gas und verschwand in einer Staubwolke.

Mein Vergehen? Ich war gelaufen. Das tue ich öfter. Und im Einklang mit den Corona-Regeln. Laufen gehört – solange man sich an die Abstand- und Vereinzelungsregeln hält und nicht gerade in Tirol ist – zu jenen Tätigkeiten, die (wie Spazierengehen) ausdrücklich erlaubt und sinnvoll sind. Nicht nur, aber gerade in Quarantänezeiten, müssen die Glieder bewegt, muss der Kopf gelüftet werden. Die WHO rät seit jeher zu mindestens 150 Minuten sanfter Bewegung pro Woche. Das sind weniger als 30 Minuten pro Tag, aber gut ein Drittel der Bevölkerung schafft nicht einmal das. Obwohl man auch einfach zu Fuß gehen könnte.

„Wann wenn nicht jetzt“, meint deshalb der Sportmediziner Robert Fritz im Falter, wäre also die Zeit, mit dem Sich-Bewegen „endlich“ (Fritz) zu beginnen? Nicht nur aus medizinischen Gründen: Bewegung und frische Luft sind perfekte Antidots zum Lagerkoller qua erzwungener Untätigkeit.

Darum rennen derzeit Viele. Nicht nur in Wien: Die Laufkolumnistin der New York Times, Jen A. Miller, beschreibt in ihrem Blog das gleiche Phänomen, dem die Zeit gerade einen Schwerpunkt widmet – und das auch (obacht, Eigenwerbung!) in meiner Laufkolumne beim Standard seit Wochen Thema ist: Der Run aufs Laufen. Noch nie waren so viele „Jogger“ unterwegs. Und während wir Laufschreiber sonst raten, auf Schuhwerk, Kleidung und Technik zu achten, sagen wir jetzt: Just do it! Laufen Sie! Gehen Sie! Hüpfen Sie! Nicht weit. Nicht lang. Nicht schnell. Das ist wurscht. Nur: Tun Sie es!

Denn draußen werden Sie spüren, was man beim verängstigten Drinnensitzen rasch aus dem Fokus verliert: Das Leben ist schön und lebenswert. Ja, auch jetzt. Und sogar dann, wenn einer, der außer Angst nur Angst hat, Sie „Mörder“ nennt.

Darum: Rennen Sie los. Nicht um, sondern für Ihr Leben.

Ihr Tom Rottenberg


Aus Dem Falter 1

Die Frage, wann und wie die Schule wieder losgehen wird, ist eines der zentralen gesellschaftlichen Themen der Coronakrise. In der aktuellen, dritten, Ausgabe ihres Blogs "Weitergedacht" fordert Barbara Tóth "Sperrt die Schulen auf" – und wird prompt ebenfalls "Lebensgefährderin" genannt. Nicht wie ich auf einem Feldweg, wo es höchstens Hase und Rebhuhn mitbekommen, sondern in den Echokammern der sozialen Medien. Das hat Methode - und ist eine direkte Folge der politischen Krisenkommunikation in Österreich: Während anderswo mit Bürgern kommuniziert wird, werden hierzulande Untertanen an- und zurechtgewiesen. Wie schnell sich dadurch Rollen-, Familien- und Geschlechterbidler verändern können, bloggte Tóth bereits – und spricht darüber auch auf FALTER-TV, im aktuellen FALTER-Minutenvideo.


Aus Dem Falter 2

Wenn es ein Gegenteil zu so ziemlich all dem gibt, wofür Barbara Tóths Kommentare und Überlegungen stehen, ist das vermutlich Berti Blockwardt. Nikolaus Habjans böseste Handpuppe polarisiert mit ihren Beobachtungen und Analysen aus der perfiden Hausmeisterperspektive wie schon lange keine Kunstfigur mehr. In der aktuellen Folge schaut der hauptberufliche Anrainer nicht aus dem Fenster, sondern ins Glas und – äh – "philosophiert". Von seiner Überraschung, dass ihm die Grünen plötzlich ebenso sympathisch sind wie Victor Orbán spannt er den Bogen mühelos nach Lesbos, zur "Lösung" des Flüchtlingsproblemes durch "Corona und Krätze": Danach werde man froh sein, nichts gewusst zu haben. Wieder einmal.


Aus Der Welt 1

Ein bisher wenig beachtetes Thema im Kampf gegen Corona ist die Frage des Bartes. Nein, hier geht es nicht um die Grafik der US-Seuchenschutzbehörde CDC, die seit ein paar Tagen viral geht, in der demonstriert wird, dass viele Barttypen sich mit Schutzmasken nicht gut verstehen: Die Grafik ist aus dem Jahr 2017 – und betrifft primär Mitarbeiter von Krankenhäusern. Dort gibt es auch längst einschlägige Rasier-Regeln.

Für uns "Zivilisten" relevanter könnte hingegen eine Anmerkung sein, die Patrick Pelloux, der Präsident der französischen Notärztevereinigung Ende der letzten Woche beim französischen TV Sender BFM machte. Bärte, so der Mediziner dort, seien wahre Seuchenherde und Virenschleudern: An Barthaaren, auch den gepflegtesten, könnten und würden sich Viren gut und lange festhalten und regelrecht einnisten. Pelloux Fazit: "Der Bart muss ab."


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