Wie sich die Justiz vor der Presse schützt - FALTER.maily #1046
14 Jahre ist es nun schon her, dass mir ein Informant einen großen Billa-Sack mit Dokumenten aus der Weisungsabteilung des Justizministeriums ...
als seine Berater im zweiten Weltkrieg Kunstförderungen kürzen wollten, soll der britische Premierminister Winston Churchill verdutzt verneint haben: "Wofür kämpfen wir dann?" Wie viele seiner großen Zitate ist auch dieses erfunden, der imaginierte Churchill war enorm schlagfertig.
Seit fünf Krisenwochen ist Österreich quasi kulturlos: die Leinwände sind unbelichtet, die Bühnen verstauben, Gemälde sehen nur einander. Auch nach hundert gut gemeinten Anläufen bewähren sich Wohnzimmerkonzerte nicht als überzeugende Substitutionstherapie.
Doch für den Kunstabstinenten gewinnen auch kleine Aufführungen wie jene am Freitagmittag an Bedeutung. Tausende Interessierte hingen an ihren Lippen, als die beiden Hauptdarsteller auftraten.
Die Pressekonferenz, in der der Vizekanzler Werner Kogler und die Kunststaatssekretärin Ulrike Lunacek die Zukunft von Österreichs Kulturwirtschaft sicherstellen sollten, enttäuschte aber. Bei seiner Ouvertüre ließ Kogler in kunstvollen Schachtelsätzen vermissen, wofür er im Wahlkampf gepriesen wurde: Kompliziertes klar auf den Punkt zu bringen.
Ulrike Lunacek beschwichtigt dann die Rasselbande der "Kreativen". Nur vergisst sie zwischen dem Lob für Balkonsänger und den virologischen Tücken des Kulturbetriebs (Kabarettisten spucken, wenn sie laut werden) irgendwie jene Pläne, nach denen sie zehntausende Kunstspucker und das ganze Rundherum retten will. Welche Förderungen für Vorstellungen und Schirme für Schöpfende sie jetzt ein Monat lang aufgestellt hat. Worauf sich Künstler jetzt im Kalender und auf dem Konto verlassen können. Lunacek will viel "erwägen", es seien schon 400.000 Euro ausbezahlt worden.
Bei den in der Pressekonferenz kommunizierten Informationen dürfte es sich Recherchen folgend um diese handeln: Mitte Mai öffnen Museen und Bibliotheken, Konzerte und Theaterstücke gibt es ab Juli, aber nur solche, wo jeder Darsteller und Zuschauer 20 Quadratmeter für sich hat. Wie das gehen soll, ist ebenso unklar wie die nahe Zukunft der Kinos. Es könnte auch alles ganz anders kommen – im Mai weiß man mehr. Kulturschaffende begehen nun das zweite Monat voller akuter Existenzängste.
Das ungeduldige Publikum hat drei Sorgen: Dass viele Künstler und Initiativen in den kommenden Monaten aufgeben werden. Dass sich manche Konsumenten die Kultur abgewöhnen und als nicht lebensnotwendig im Keller der Wahrnehmung verräumen. Nicht zu verleugnen ist auch ein latenter Schauer vor überreichlich Corona-inspirierter Weltuntergangskunst, die gerade entsteht.
Ihr Lukas Matzinger
Meister Bob Dylan, den Ulrike Lunacek langweilig findet (er hat sich umgekehrt noch nicht geäußert), hat in der Krise zum ersten Mal seit acht Jahren neue, selbstgeschriebene Musik veröffentlicht. Einem überraschenden 1400-Wörter-Epos über sein Land ließ er am Freitag eine zarte Salonnummer folgen. Sie sollten jedes Jahr um diese Zeit berücksichtigen, dass Dylan nach einem Malereikurs 1974 eines der schönsten und frühlingshaftesten Alben von allen geschrieben hat.
Am Anfang der Corona-Situation war überall Germ ausverkauft. Wo er gelandet ist, können Sie jetzt auf Instagram sehen - Brotbacken liegt wohl im Trend. Wenn Sie auch die Zeit nutzen wollen, um ein oder zwei größere Küchenprojekte durchzuführen, empfehlen wir unsere #cocooking-Reihe unserer Food-Kolumnistin Katharina Seiser. Auf falter.at/cocooking finden Sie mittlerweile 150 Ideen, lassen Sie sich doch inspirieren!
Ein Thema, dem wir uns zuletzt auch im Falter gewidmet haben (etwa hier und hier), ist die Lage der Verlagsbranche und des Buchhandels. Viele österreichische Verlage sind durch die Krise stark betroffen, es gibt de facto keine Möglichkeit, Neuerscheinungen zu präsentieren. Der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels organisiert deshalb die Initiative „Ausnahmegespräche“ – eine Interview-Reihe mit österreichischen Autorinnen und Autoren. Auf falter.at können Sie alle Videos sehen - bisher veröffentlicht wurden etwa Daniel Wisser ("Unter dem Fußboden") oder Helena Adler ("Die Infantin trägt den Scheitel links").