Eine Inselgeschichte - FALTER.maily #204

Tom Rottenberg
Versendet am 30.04.2020

die Polizei (zwei Funkstreifen, drei Rad-Cops und vier Mann Fußstreife) war gefühlt binnen Sekunden da. Gut so. Denn auch wenn ein – natürlich – Mann nebenan motzte, dass "doch eh nix passiert" sei, war das für die drei verstörten jungen Frauen ein beruhigendes Zeichen. Und für den (vermutlich noch) im Busch sitzenden Einsatzgrund ein Signal: Es ist nicht wurscht, wie sich Männer benehmen. Oder hier: danebenbenehmen.

Was da Mittwochnachmittag auf der Donauinsel passiert war? "Eh nix": Eine der Frauen war auf die Toilette gegangen. Dort war ihr ein hosenloser, masturbierender Mann aus den Büschen entgegen gesprungen. Kein tätlicher Übergriff. Also "eh nix". Nichts, was Frauen nicht immer wieder zugemutet wird: "Eh nix" ist abgesehen von der Anstandsverletzung eine massive Einschüchterung. Ein "ich könnte – du wärest ausgeliefert".

Doch hier kam noch etwas dazu: Solche Belästiger sind feige. Sie suchen oft Randzeiten und -Zonen. Aber dieser hier trat aber bei "Vollbetrieb" auf: Die "Insel" war voll wie sonst im Hochsommer – und die drei Frauen lagen auf einer dicht belegten Wiese. Den Mann irritierte das nicht.

Die Frauen umso mehr: Der Sommer wird heiß. Er wird für viele in der Stadt stattfinden. Den Wert öffentlicher Grün- und Erholungsräume wie der Donauinsel erkennen daher jetzt auch Menschen, die bisher jene verhöhnten, deren Freizeit und soziales Leben im öffentlichen Raum stattfand. Stattfinden mußte. Doch Abstands- und Kontaktvermeidungsregeln werden uns noch länger begleiten: Einsamkeit ist ein Faktor. Erst recht für Männer, die im Anbahnen von Kontakten "ungeschickt" sind.

Trotz Gratis-Premium-Account-Aktionen diverser Porno-Webseiten entsteht da Druck. Viel Druck. Nur darf der nicht dazu führen, dass sich Frauen (oder wer auch immer) unsicher oder ausgeliefert fühlen. Denn die Lebensqualität einer Stadt definieren nicht Manager-Umfragen in Komfort-Zeiten: Sie beweist und bewährt sich im Ausnahmezustand. Unter anderem an der Verfügbarkeit von Freiräumen – und dem Sicherheitsgefühl dort. Für alle.

Zu wissen und zu erleben, dass es nicht wurscht ist, wenn dieses Sicherheitsgefühl verletzt wird, dass die Polizei sofort und sogar in vermeintlicher Überbesetzung kommt, zählt. Auch wenn "eh nix" passiert ist.

Haben Sie einen schönen, sicheren Tag.

Ihr Tom Rottenberg


Noch Ein Hinweis

Wieso ich obige Geschichte erzählen kann? Ich war dort. Ich kam gerade aus dem Wasser, als die Polizei eintraf: Für Menschen wie mich sind gesperrte Schwimmbäder eine Katastrophe. Zum Glück sind die meisten freien Gewässer aber schon warm genug, um (mit Neoprenanzug und Sicherheitsboje) zu schwimmen. Bis die Bäder wieder aufsperren, wird der Sommer voll da sein – aber schon jetzt locken Seen & Teiche, Flüsse & Lacken.

Deshalb eine dringende Bitte: Unterschätzen Sie das "Freiwasser" nicht – und überschätzen Sie Ihre "Schwimmkompetenz" nicht. Es gibt hier nämlich keinen Bademeister oder sonst wen, der Ihnen nachspringt. Machen Sie einen (Auffrischungs-)Schwimmkurs – die werden nämlich auch im Freiwasser angeboten. Und lassen Sie Kinder NIE unbeaufsichtigt ans oder ins Wasser.

Und ein kleiner Teaser: Im nächsten FALTER-Landleben begibt sich meine Kollegin Nathalie Großschädl auf die Suche nach den schönsten Freiwasser-Schwimm- und -Badeplätzen in Ostösterreich.


Lesetipp

Was hat Bruno Kreiskys "Lernen Sie Geschichte, Herr Redakteur" mit Corona und Klimawandel zu tun? Wenig – oder doch nicht? Denn der Untergang des römischen Reiches hing sehr unmittelbar mit zwei Faktoren zusammen: Epidemien – der Pest – und der so genannten "Kleinen Eiszeit" (Migration era pessimum), die von 250 – 700 nach Christus herrschte.

Rom, die sich für unangreifbar haltende, ewige Stadt, schrumpfte von einer Millionenmetropole auf 20.000 Einwohner. Die Schwächung des Reiches und die (auch klimabedingten) Wanderbewegungen der Völkerwanderung brachten den Untergang des Imperiums. 2017 beschrieb das US-Autor Kyle Harper minutiös in "Fatum – Das Klima und der Untergang des römischen Reiches" (C.H.Beck). Auf "unseren" Klimawandel konnte er da schon verweisen. Auf Corona nicht. Doch wenn man das Buch heute liest, sind die Parallelen offensichtlich – und beklemmend.


Aus Dem Falter

Ein geleaktes Expertenpapier für Kurz & Co sorgte für Aufsehen und Ärger. Eine Gruppe von Mathematikern war schwerer Kritik ausgesetzt, weil ihre Berechnungen zu übertrieben seien. Nun nehmen die Wissenschafter im Falter Stellung. Ihren Text "Über Modelle, Prognosen und die Realität von Covid-19. Warum Modellrechnungen keine Glaskugel sind und der in der Öffentlichkeit bisher weitgehend unbekannte Faktor R0 zum Krisenmanager wurde" lesen Sie hier.


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