Sorry, Sora! - FALTER.maily #1201
Ich hoffe, meine Mail geht an den richtigen Verteiler. Weil - Sie haben es heute vielleicht mitbekommen und wenn nicht, erzähle ich es Ihnen ...
wenn der Schwachsinn regiert, die Regierungspropaganda es einem schwer macht, Vernünftiges von Unvernünftigem zu unterscheiden, wenn sie Pakete schnüren und Maßnahmen lockern, wenn sie viel Hilfe laut anpreisen und wenig Hilfe leise leisten, dann möchte man manchmal ganz weit weg sein.
Dann denke ich an meine indischen Freunde. Aus Indien ist man Schreckensnachrichten gewohnt. Wie den Bericht über jene 16 Wanderarbeiter, die wegen des Lockdowns ihren Job verloren, sich im Bundesstaat Maharashtra zu Fuß nach Hause aufmachten, im Ort Aurangabad auf Eisenbahngeleisen einschliefen, von einem Güterzug überrollt und getötet wurden. Oder die 13 Toten und 1000 Verletzten nach dem Giftgasunfall in Visakhapatnam im Bundesstaat Andhra Pradesh, als in der in südkoreanischem Besitz der LG Chem befindlichen Chemiefabrik das Gas Styrol austrat. Die Fabrik war erst am 25. März wiedereröffnet worden. Sie liefert Batterien unter anderem für Volkswagen und General Motors.
Und ständig wartet man auf Corona-Horrornachrichten aus dem volkreichen Land mit seinen vielen Slums in Millionenstädten, wo niemand auf Distanz gehen kann.
Aber dann erreichen einen auch ganz andere Nachrichten, zum Beispiel aus Kerala, dem südwestlichsten Staat Indiens, der seit 1957 kommunistisch regiert wird. Mitunter kommt auch die bundesweit in Richtung Bedeutungslosigkeit marschierende, von der Familie Gandhi dominierte Nehru-sozialistische Kongress-Partei an die Regierung.
Keine Chance hatten bisher in Kerala die Hindufaschisten der von Premier Modi geführten nationalistischen BJP. Ein CIA-gestützter Putsch in den 1959 kippte die Kommunisten erstmals aus der Regierung, vermochte ihre Reformmacht aber nicht zu brechen. Kerala war (nach San Marion 1945) das erste und ist das mit 45 Millionen Einwohnern das größte Land der Erde, das sei über sechs Jahrzehnten immer wieder Kommunisten an die Macht wählt (und abwählt).
Das Ergebnis: neben anderem die geringste Zahl an Analphabeten, die besten Frauenrechte und das beste Gesundheitssystem in Indien. Kein Wunder, dass Kerala, obwohl dort die erste Coronapatientin Indiens auftauchte, eine Medizinstudentin auf Wuhan, mittlerweile als erster indischer Bundesstaat das Virus unter Kontrolle hat.
Ich befand mich gerade zu meiner Ayurveda-Kur dort und las es in der Zeitung. Die Studentin wurde damals, am 30. Jänner, sofort in Heimquarantäne geschickt, Zeitungskommentare erörterten Probleme der Pandemie, am 4.2. erklärte die Regierung den Alarmzustand, am 7. 2. flogen wir zurück. Den Lockdown verfügte Kerala einige Tage vor der Zentralregierung, ebenso wie Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft. Schon Mitte April führte Chief-Minister Pinarayi Vijayan jenes Farbsystem (Rot, Orange, Grün) ein, das Boris Johnson den Briten jetzt verordnen will und das eine flexible Antwort auf lokale Infektionsherde signalisiert.
Während in Indien im Schnitt ein Mediziner für 2000 Personen da ist, kommen in Kerala auf einen Arzt nur 200 Patienten. (Die WHO-Norm wäre einer pro 1000). Pro 100 Personen gibt es hier 2,9 Krankenhausbetten, in Italien sind es 3,2 und in den USA 2,2. Das alles ist kein Plädoyer für den Kommunismus, aber eines für den Sozialstaat. Und für Kerala, wie die Schriftstellerin Arundhati Roy einmal sagte, den besten Platz in Indien. Ob sie mich nächstes Jahr wieder hinlassen?
Haben Sie eine gute Woche und schauen Sie in die Welt hinaus!
Ihr Armin Thurnher
Mehr über Keralas Erfolge gegen Corona: https://en.wikipedia.org/wiki/COVID-19_pandemic_in_Kerala
Info über die erste kommunistische Regierung Keralas und den CIA-Putsch: https://www.outlookindia.com/magazine/story/what-congress-cia-brought-down/299470
Ist das bedingungslose Grundeinkommen eine gute Idee? Darüber diskutieren mit Raimund Löw ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesrätin Korinna Schumann, Politikwissenschaftlerin Margit Appel (Katholische Sozialakademie), Ökonom Stephan Schulmeister und FALTER-Redakteur Josef Redl.
Frauen sorgen sich um andere. Sie können nicht anders. Oder doch? Nicole Scheyerer über die Care-Revolution, die mehr Wertschätzung, Zeit und Geld für das Sich-Kümmern fordert
https://www.falter.at/zeitung/20200505/der-aufstand-der-unsichtbaren
Der Spiegel brachte ein großes Gespräch mit ihm, die Süddeutsche Zeitung druckt jede Woche ein Gedicht von ihm, und ich habe ihm eine Seuchenkolumne gewidmet: dem großen Verleger, Autor und Poeten Michael Krüger.
https://cms.falter.at/blogs/athurnher/2020/05/10/ticket-aus-licht/