Leise Stimmen - FALTER.maily #214

Florian Klenk
Versendet am 13.05.2020

merken Sie es? Da braut sich was zusammen. In Deutschland stärker als bei uns. Eine neue, sehr spontan wachsende Allianz aus linken und rechten Wutbürgern, Verschwörungstheoretikern und zu Recht verzweifelten Geschäftsleuten ist da im Entstehen. Diese Protestmasse macht die Politik, aber auch die Medien dafür verantwortlich, dass die Wirtschaft so massiv einbricht wie das nach einem weltweiten "Lockdown" der Fall ist. Auch körperliche Attacken auf Journalisten ("Lügenpresse!") mehren sich.

Noch fehlt zum Glück ein Anführer, der diese ungewöhnliche Allianz politisch weiter aufpeitscht, aber sie wächst, das darf man nicht übersehen. Vor allem sollte man diese Menschen, wie das in sozialen Netzwerken erfolgt, nicht als dumme Deixfiguren verspotten. Die Polizei rüstet sich schon für härtere Zeiten. In Deutschland, wie die SZ berichtet. Aber auch in Wien, wie uns Polizeipräsident Gerhard Pürstl bereits Anfang April verriet.

Repression wird nicht die Lösung für die kommende soziale Frage sein. Die Dinge werden derzeit neu geordnet. Hunderttausende haben Job oder Existenz verloren, sozial und finanziell benachteiligte Kinder werden büßen. Denn die Hilfen kommen oft zu spät, wie der Wirt und Neos-Abgeordneter Sepp Schellhorn in seinem Betrieb am eigenen Leibe spürt. Auch ein Rundruf unter Wiener Wirtschaftsleuten gibt Einblicke in das Chaos.

Zugleich wird sichtbar, wer seine Privilegien durchzusetzen vermag. Golfspielen, Segelfliegen, zur Jagd einreisen, fliegen: das ist erlaubt. Erntebrigaden und Pflegerinnen aus Osteuropa werden eingeflogen. Dabei hat ihnen Sebastian Kurz gerade noch - europarechtswidrig - das Kindergeld zusammengestrichen. Dafür wird jetzt die Schaumweinsteuer gesenkt und die Medienunternehmer Dichand und Fellner, deren Journalismus gratis, aber mitunter käuflich ist, werden mit Millionen überschüttet (mehr lesen Sie in Armin Thurnhers Seuchenkolumne, etwa hier oder hier). Danke den Grünen dafür.

Die Linke hat keine Stimme, diese drohenden sozialpolitischen Verwerfungen zur Sprache zu bringen. Sie findet auch keine richtigen Worte, um etwa das bereits im Januar einsetzende behutsame Corona- Krisenmanagement des Roten Wien durch Peter Hacker oder die Aufhebung des Epidemiegesetzes zu thematisieren (das macht aus Anspruchsberechtigten Bittsteller, wie Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina hier argumentiert). Werner Kogler ist mit seinem, sorry, Geschwurbel bei Pressekonferenzen exemplarisch. Vielleicht kann irgendwer dem Mann einen Redenschreiber organisieren und erklären, dass es einen Unterschied macht, ob man am Wahltag eine launige improvisierte Rede vor der eigenen Fancrowd hält - oder vor hunderttausenden Kulturschaffenden und der dahinter stehenden Industrie, die gerade ihre Existenz verliert.

Die Wählerschaft der Grünen spürt gerade, dass das Personal der Krise doch (oder noch?) nicht so gewachsen ist, wie sie das gehofft hätte. Ulrike Lunacek wäre sicher eine glänzende Europastaatssekretärin, aber sie hat keine Ahnung von Kulturpolitik. Der engagierte Rudi Anschober ist den Spin-Doctoren von Sebastian Kurz ausgesetzt, die ihm zunehmend die Schuld für die verwirrenden Lockdown-Gesetze zuschieben. Die Förderung der AUA nach dem Lockdown wird die Nagelprobe für Infrastrukturministerin Eleonore Gewessler.

Auch die SPÖ ist in diesen Krisentagen zu leise. In Wien, aber auch im Bund würde sich deren Wählerschaft wohl stärkere Auftritte wünschen, nicht nur von Peter Hacker, der schon früh vor den Folgen des Lockdown warnte. Pamela Rendi-Wagner, die eigentlich Pandemie-Expertin ist, dringt mit ihrem Wissen nicht wirklich durch, das liegt an ihrer zurückhaltenden Art und dem Schwurbelsprech, den ihr offenbar Berater eingeredet haben. Wer sich mit ihr fernab der Kameras unterhält trifft auf eine politische Frau. Die Basis stimmte zwar gegen ihre Entmachtung, aber die Partei weiß natürlich auch, dass mit ihr wohl keine Wahlen zu gewinnen sind. Das ist schade, weil sie eine hochanständige und integre Fachfrau ist. Aber mit ihr grundelt die SPÖ unter 20 Prozent herum, ein historischer Tiefstwert, zumal in Zeiten von 600.000 Arbeitslosen, einer Million Menschen in Kurzarbeit und einer bevorstehenden Pleitewelle, die Wien und vor allem die ländlichen Regionen massiv verändern und die Unterprivilegierten mobilisieren wird. Vielleicht wäre sie ja eine respektable Kandidatin für das Rennen um die Hofburg.

PRW hätte nun die Chance, ihre Nachfolger aufzubauen, die nächste Generation drängt schon an die Macht. Julia Herr und Max Lercher wirken hungrig und aufgeweckt, sie würden die Partei verjüngen und Kurz alt aussehen lassen. Und auch der durch Landespolitik, EU-Politik und ein Regierungsamt gestählte Jörg Leichtfried ist wohl eine stille Reserve der Partei.

Ihr Florian Klenk


Bekenntnis Der Woche

Unser Glück ist in diesen Tagen, dass die Freiheitlichen nicht das Land regieren. Das ist jenen Informanten zu danken, die den Kollegen von Süddeutscher Zeitung und Spiegel das Ibiza-Video zusteckten. Vor einem Jahr haben uns die beiden deutschen Qualitätsmedien in eine Recherchekooperation mitaufgenommen. Ich konnte ein paar Tage vor Veröffentlichung nach München fahren und das Video in voller Länge sehen. Das Falter-Investigativ-Team konnte somit die Ibiza-Recherchen zeitgleich veröffentlichen. Eine Nachlese unserer Recherchen finden Sie hier. Ein Video, das wir über Ibiza anfertigten, zählte zu den drei am meisten geklickten Youtube-Filmen des letzten Jahres.

Ich werde diese großzügige Geste des SZ-Investigativteams rund um Bastian Obermayer und Frederik Obermeier, aber vor allem auch von SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach jedenfalls nie vergessen. Die SZ und der Spiegel haben damit auch dem kritischen Investigavtivournalismus des Falter große Anerkennung gezollt. Ein Danke geht dafür nach München und Hamburg. Eine Übersicht über all die Affären, die Ibiza auslöste, habe ich im aktuellen Falter hier zusammengeschrieben. Unser Illustrator Oliver Hofmann hat meine Diagramme in eine faszinierende Grafik übersetzt.


Empfehlung

Besonders empfehlen möchte ich Ihnen die Lektüre der aktuellen Titelgeschichte. Kollegin Barbara Tóth ist es gelungen, die bisher unveröffentlichten Papiere der Krisenstäbe einzusehen, das letzte Papier erreichte uns Montagabend, kurz vor Redaktionsschluss. Darin waren sogar die Falter-Recherchen schon thematisiert. In einem Longread beschreibt Tóth, wie in Zeiten der Pandemie von Politik und Expertenschaft um die richtige Linie gerungen wurde. Was ihr dabei auffiel: allzu oft stand auch mediale Inszenierung im Vordergrund. Und nach dem Lockdown hat sich Sebastian Kurz von der Expertise seiner Krisenberater entfernt. Ob das eine weise Entscheidung war, wie die ÖVP sagt, werden die kommenden Monate weisen, wenn eine umfassende Betrachtung des Krisenmanagements möglich und alle Kollateralschäden sichtbar werden.


Buchtipp

Und jetzt noch ein kleines Bekenntnis. Seit Wochen arbeite ich nicht mehr im Büro, weil auch wir auf Home-Office umgeschaltet haben. Ich schreibe in einem Schuppen meiner Urgroßmutter, den ich zu einem Büro ausgebaut und mit einer großen Glasscheibe versehen habe.

Während die Welt aus den Fugen gerät, beobachte ich von hier aus ganz biedermeierlich nicht nur ein kleines Meisenpaar beim Füttern seiner Brut (hier gibt es ein von vier Millionen Usern abgerufenes, faszinierendes Video, wie sowas aussieht), sondern auch Wildbienen beim Einzug in mein Insektenhotel (ja, im Baumarkt mit Maske gekauft).

Ich gebe zu, diese Beobachtungen in meinem Garten faszinieren mich. Ich habe mir daher nicht nur einen Feldstecher zugelegt, um in diesem Mikrokosmos zu investigieren. Sondern lese auch in "Wildlife Gardening" von Dave Goulson, das mir Kollegin Maria Motter einmal schenkte und das Falter-Zoologe Peter Iwaniewicz im Falter besprochen hat - seine Rezension lesen Sie hier. Wenn Sie einen Garten haben, dann lesen Sie dieses Werk. Es öffnet Ihnen die Augen und ist auch noch humorvoll.


Das FALTER-Abo bekommen Sie hier am schnellsten: falter.at/abo
Wenn Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet wurde und er Ihnen gefällt, können Sie ihn hier abonnieren.
Weitere Ausgaben:
Alle FALTER.maily-Ausgaben finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,17 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!