Rücktritt - FALTER.maily #217

Stefanie Panzenböck
Versendet am 16.05.2020

es war vorhersehbar. Gestern um zehn Uhr am Vormittag gab Ulrike Lunacek ihren Rücktritt als Staatssekretärin für Kunst und Kultur bekannt. Die „persönliche Erklärung“, wie man solche Abschiedsreden zu nennen pflegt, fand in tristem Rahmen statt, in einem Veranstaltungssaal der Kunst- und Kultur-Sektion, der den Charme einer Tiefgarage hat. Nur die Österreich- und die Europa-Flagge hinter dem Rednerpult erinnerten daran, dass hier eine hohe Politikerin auftreten würde. Lunacek verwies auf ihre Verdienste als Europapolitikerin, ihren Einsatz für Menschenrechte, gab zu, dass ihr die Expertise für das Amt einer Kunststaatssekretärin gefehlt habe. Sie wirkte sympathisch wie immer, las vom Blatt und trat mit einem freundlichen „Auf Wiedersehen“ ab. Fragen der anwesenden Journalistinnen und Journalisten wurden keine gestattet.

Der Rücktritt war die richtige Entscheidung. Gelöst ist damit kein einziges Problem der Kunst- und Kulturszene. Denn auch Lunaceks Nachfolgerin wird nur Staatssekretärin im Vizekanzleramt sein. Einen Chef haben, der von ihren Agenden wenig Ahnung hat, und vom Ministerrat genauso weit weg sein wie ihre Vorgängerin. Türkis-grün hat der Kulturpolitik eine denkbar schlechte Position zugewiesen. Das rächt sich. Auch eine neue kompetente Staatssekretärin kann sich nur um Schadensbegrenzung bemühen.

Die Kulturpolitik wird in Österreich seit Jahren nur halbherzig betrieben. Vor allem weil übersehen wird, dass sie immer auch Sozial- und Wirtschaftspolitik ist. Ein großer Teil der Kunstschaffenden lebt und arbeitet unter prekären Bedingungen. Dieser Umstand wird besonders in der Krise zur Katastrophe.

Die Kunst machen Künstlerinnen und Künstler schon selbst. Die Politik ist für die Rahmenbedingungen zuständig. Und die sind mangelhaft.

Haben Sie trotzdem ein schönes Wochenende,

Ihre Stefanie Panzenböck


Nachlese

Gestern haben Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Vizekanzler Werner Kogler (beide Grüne) Lockerungen für den Kunst- und Kulturbetrieb bekannt gegeben. Hier finden Sie einen Überblick.


Buchtipp

Wenn Sie intensive Lektüre mögen, empfehle ich Ihnen "Die Jahre" der französischen Schriftstellerin Annie Ernaux.


Hörtipp

Wenn Sie in der Musik nach Schönheit suchen, sei Ihnen das neue Album "Es könnt oba a ois gaunz aundas sein" von Martin Spengler & die foischn Wiener ans Herz gelegt.


Podcast

Und wieder haben wir zwei Folgen unseres Podcasts Falter Radio für Sie.

Heute geht es um Corona und Feminismus: Rückschritt oder neue Gerechtigkeit? Unter der Leitung von Barbara Tóth diskutieren im Cafe Brandstätter die Herausgeberin Nicole Adler, die Mitinitiatorin von Business Riot Therese Kaiser, die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken und der Musiker Jugo (Ürdens).

Und am Sonntag haben wir Teil 3 der Serie über den Retter des vergessenen KZ Gusen: Wie der Rot-Kreuz-Mitarbeiter Louis Häfliger am 5. Mai 1945 eine Vorhut amerikanischer Soldaten zur Befreiung in das KZ Gusen gelotst hat. 75 Jahre nach dem Sieg über Nazideutschland hören Sie eine Spurensuche von Addendum-Reporter David Freudenthaler.

Beides hören Sie unter falter.at/radio oder in Ihrer Podcast-App.


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