Körperkontakt - FALTER.maily #232

Gerhard Stöger
Versendet am 04.06.2020

vorgestern war ich erstmals in der Peepshow, Maria Bill hat mich hingelockt. Die Schauspielerin und Sängerin trat beim Kultursalon Guckloch auf, einer Pop-Up-Veranstaltungsreihe, die das Etablissement in der Wiener Burggasse 112 noch bis 15. Juni mit Musik, Literatur und Kabarett bespielt. Die Liveacts nutzen jene winzigen Drehbühne, auf der sonst nackte Haut ausgestellt wird; das Publikum zwängt sich für je 15 Minuten alleine oder zu zweit in die engen Kabinen davor, in denen Männer für gewöhnlich Genuss anderer Natur suchen.

Trotz der sonderbaren Umstände war Bill ganz in ihrem Element. Voll Energie, Leidenschaft und produktiver Unruhe sang sie eigene Lieder sowie Werke von Edith Piaf und Jacques Brel und freute sich merklich, ihrem Job endlich wieder nachgehen zu können.

Aus der Peepshow führte mein Weg ins Chelsea, den Pionier unter den Wiener Musik-Gürtelclubs. Erstmals seit Monaten sollte es hier wieder Livemusik geben. Das Lokal, in dem das Publikum sonst dicht gedrängt steht, war Corona-konform bestuhlt und mit Tischen zu maximal vier Personen versehen; auf der Bühne, saßen drei Songwriter und eine Songwriterin mit ihren akustischen Gitarren.

So aufregend der Peepshow-Besuch durch die kreative Umdeutung des Ortes davor war, so ernüchternd fühlte sich nun das Chelsea an. Denke ich an Konzerterlebnisse dort, denke ich an Schweiß, Gedränge, Lärm und Euphorie. Schon klar, das Damoklesschwert einer zweiten Corona-Welle verhindert derzeit noch die Rückkehr zur alten Norm. Ein gepflegtes Sitzkonzert in der alten Rock-Hütte taugt allerdings nur bedingt als Ersatzbefriedigung.

Dem vorerst bis Ende Juni angesetzten akustischen Konzert-Dienstag im Chelsea sei natürlich nur das Allerbeste gewünscht, ebenso allen anderen dieser Tage anlaufenden Versuchen, die subkulturellen Bühnen Wiens erneut mit Leben zu erfüllen. Ich persönlich warte mit Konzertbesuchen vorerst aber lieber, bis mir fremde Menschen wieder ungehemmt auf die Zehen steigen dürfen.

Ihr Gerhard Stöger


Empfehlung

Heute bietet der Kultursalon Guckloch Literatur. Ab 19 Uhr lesen Clemens Berger ("Das Streichelinstitut") und Christine Gaigg ("Affair"), es gilt das Prinzip "first come first serve". (Mehr zur Veranstaltung hier.)

Wer keinen Platz ergattert: Ein paar Häuser weiter nimmt das Admiralkino den Betrieb wieder auf und zeigt heute Sabine Derflingers empfehlenswerte Dokumentation "Die Dohnal". Kartenreservierungen unter reservierung@admiralkino.at.


Aus Dem Falter

Anders als bei Rockkonzerten ist es in Museen und Ausstellungen durchaus von Vorteil, wenn Körperkontakt ausbleibt. Mangels Touristen ist das derzeit in den Wiener Kunststätten der Fall. Meine Kollegin Nicole Scheyerer gibt in ihrer Titelgeschichte der aktuellen Falter:Woche Tipps, welche Ausstellungen Sie dieser Tage besuchen sollten.


Hörtipp

Türkis-grüner Krach um Ibiza? Im aktuellen Falter-Podcast enthüllt Florian Klenk, wie das türkise Innenministerium bei den Ermittlungen zum Ibiza-Video das grüne Justizministerium hängen lässt. Der Falter-Chefredakteur ist heute erster Zeuge im parlamentarischen Ibiza-Ausschuss. Auch zu hören: die Ausschussmitglieder Stephanie Krisper (Neos) und Kai Jan Krainer (SPÖ) über ihre Pläne im parlamentarischen Antikorruptionskampf, den Satiriker Florian Scheuba der gesamten Republik ganz besonders ans Herz legt. Ein Podcast über Bestechung in der Politik und Merkwürdigkeiten bei den Ermittlungen - zu hören auf falter.at/radio oder in Ihrer Podcast-App.


Zum Nachschaün

Kollege Benedikt Narodoslawsky hat im ORF-Report über sein Buch "Inside Fridays for Future" gesprochen und warum er die Bewegung trotz Corona-Dämpfers noch nicht abschreiben würde. Den Beitrag sehen Sie hier, das Buch gibt es im Faltershop.


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