Leid im Bild

Josef Redl
Versendet am 05.06.2020

"The Revolution Will Not Be Televised", hat Gill Scott-Heron vor nunmehr fast 50 Jahren befunden. Der Weckruf stammt aus einer Zeit, als das Bewegtbild als Nachrichtenquelle ein Monopol der großen Fernsehsender war. Das hat sich grundlegend geändert. Die Macht des Bildes liegt nun in den Händen aller Smartphone-Besitzer: Aktivisten, Journalisten oder Passanten. Sie dokumentieren die großen Schweinereien, wie den gewaltsamen Tod von George Floyd und die Proteste, die dieser ausgelöst hat. Sie dokumentieren, wie Tirols Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler eine Aktivistin der Umweltschutz-Organisation WWF als "widerwärtiges Luder" bezeichnet.

Um ein Video geht es natürlich auch im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Dort war gestern Falter-Chefredakteur Florian Klenk als Auskunftsperson geladen. Der Falter hatte gemeinsam mit der Süddeutschen Zeitung und dem Spiegel, denen das folgenschwere Video aus Ibiza vorlag, recherchiert. Der Inhalt der Gespräche ist auszugsweise bekannt: Es ging um Konstruktionen, wie Parteispenden über Vereine am Rechnungshof vorbei kassiert werden sollten. Um herbeifantasierte Säuberungsaktionen in österreichischen Redaktionen. Um das Zuschanzen von Jobs und Aufträgen. Florian Klenk konnte bei den SZ-Kollegen in München das gesamte Videomaterial sichten. Zwar haben die Ermittler der Soko Tape inzwischen ebenfalls Datenträger mit den Aufnahmen sichergestellt, bloß hat es bisher niemand für nötig befunden, diese der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalt und in weiterer Folge dem U-Ausschuss zu übermitteln. Also musste Klenk erklären, was darauf zu sehen ist.

Nach Klenk waren die Hauptdarsteller des Ibiza-Videos, die Ex-FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, zum Auftakt des U-Ausschusses an der Reihe. Beide machten intensiv von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch. Eine weitere tragende Rolle in dem heimlich gedrehten Film, der die türkis-blaue Regierung stürzte, ist der Lockvogel, der sich als Oligarchennichte Aljona M. ausgab. Ihr Bild wurde von der österreichischen Polizei veröffentlicht, sie ist zur Fahndung ausgeschrieben. Warum das ein Problem ist, hat Florian Klenk gestern Abend hier beschrieben.

Ihr Josef Redl


Was Wir Sonst Noch Machen

Es dauert nicht mehr lange, dann ist auch der Autor dieser Zeilen geladen, nämlich als Zeuge in einem Gerichtsverfahren, das die ÖVP gegen den Falter angestrengt hat. Die Kanzlerpartei hat gegen die Falter-Berichterstattung über die Buchhaltung der ÖVP und deren Wahlkampfkostenüberschreitungen geklagt. Der Falter ist mit seiner Einschätzung, dass die ÖVP (nach 2013 und 2017) auch 2019 wieder das gesetzliche Ausgabenlimit gesprengt hat, nicht alleine. Der Unabhängige Parteien-Transparenz-Senat hat in einem eben veröffentlichten Gutachten festgestellt, dass die "Plausibilität", die ÖVP hätte die Obergrenze von sieben Millionen Euro bei den Wahlkampfausgaben eingehalten, "nur in geringem Maße gegeben" ist. Ab 22. Juni wird diese Frage am Handelsgericht Wien erörtert.


Worauf Wir Achten

Trotz all dem schauen wir auch in die USA. Falter-Herausgeber Armin Thurnher schreibt in seiner Seuchenkolumne unter anderem darüber, wer bei uns im Fernsehen die USA erklärt und was eigentlich erklärt werden sollte. Hier lesen Sie seinen Text.


Aus Dem Verlag

Mein Kollege Klaus Nüchtern hat vor kurzem mit dem Historiker Thomas Walach das Buch "Unser Land" veröffentlicht. Darin schreiben kluge Menschen über ihren Heimatbegriff. Neben bekannten Autorinnen und Autoren wie Renata Schmidtkunz, Sibylle Hamann oder unserem Herausgeber Armin Thurnher hat auch Lisa Eckhart einen Essay veröffentlicht. Unter dem Titel "Die Ära der Empfindlichkeit" schreibt sie: "Ich auch, ich auch, ich auch! Im identitätspolitischen Infight wird Rücksicht auf die eigenen Gefühle eingeklagt, aber gnadenlos ausgeteilt." Einen Auszug daraus lesen Sie jetzt bei uns auf falter.at, das Buch gibt es natürlich im Faltershop.


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