Aus dem Leben eines Kritikers - FALTER.maily #1045
Übermorgen erscheint die nächste Ausgabe der FALTER-Buchbeilage. Gerlinde Pölsler (Sachbuch), Kirstin Breitenfellner (Kinderbuch) und ...
ich schreibe Ihnen vom U-Ausschuss zur Aufklärung der Ibiza-Affäre. Ich sitze hier den ganzen Tag, weil man so einiges über die Republik erfährt. Es ist spannender als jede Netflix-Serie. Hinter einer dicken Glaswand sitzt gerade die Auskunftsperson Matthias Purkart, ein auf den ersten Blick etwas unscheinbarer Jurist mit gepflegtem Vollbart. Aber der Mann zündet gerade das Innenministerium an.
Ganz ruhig, ganz sachlich, aber entschlossen. Man merkt dass er sich sehr gut vorbereitet hat auf seinen Auftritt vor den Abgeordneten.
Purkart ist bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) als Oberstaatsanwalt tätig. Er sichtet dort als IT-Experte die Handys, Kalender, Chats, Mails und sonstige Beweisstücke in der Casinos-Affäre. Er wertet aus, was die Minister der blau-schwarzen Regierung (Heinz-Christian Strache, Hartwig Löger, Staatssekretär Hubert Fuchs) mit Glücksspielbossen und Bankmanagern ausheckten.
Purkarts Behörde ist deshalb unter harten Beschuss gekommen, etwa durch den Bundeskanzler, der die WKStA in einem Hintergrundgespräch vor Journalisten im Jänner ein „rotes Netzwerk“ nannte. Und auch die Soko Tape, die Polizei-Sonderkommission im Innenministerium, boykottierte die WKStA, wie ich hier beschrieb.
Jetzt wird klar, wieso das die WKStA so empört:
Purkhart listete eine Stunde lang die Schlampereien, Befangenheiten und „massiven Unsorgfältigkeiten“ der Soko auf. Bei Hausdurchsuchungen seien wichtige Dokumente nur schlampig oder gar nicht gescannt worden, etwa ein Kalender von Raiffeisen-Generalanwalt Wolfgang Rothensteiner oder von Novomatic-Chef Johann Graf.
Purkart präsentierte ein besonders delikates Beweisstück: ein schwarzes Stück Papier, es sollte ein Scan eines Kalenders Rothensteiners sein. Erst mittels Spezialsoftware konnte die WKStA hervorkitzeln, was unter dem schwarzen Balken stand: „Pröll redet mit Kurz“. Gemeint sind der beschuldigte Ex-Vizekanzler und Casinos-Aufsichtsrat Josef Pröll und der Bundeskanzler. Sie besprachen sich, als es um die Casinos ging.
Schlamperei? Absicht? WKStA-Staatsanwalt Purkart nennt es „massive Unsorgfältigkeiten“, er sagt: "Es hat uns die Augen rausgehaut". Und er listet noch viele weitere Schlampereien auf. Ein Notizbuch von Johann Gudenus sei so schlampig gescannt worden, dass man darin notierte Passwörter nicht mehr lesen könne.
Das bereits entsperrte Handy Straches sei durch Schlamperei versperrt worden. Die Polizei habe angegeben, sie könne seine Signal-Messages nicht rekonstruieren. Doch die WKStA konnte es.
Die Soko Tape habe bislang keinen Auswertungsbericht zu den Daten geliefert, Purkart hingegen derer zehn.
Obendrein gibt es massive Befangenheiten. Ein Polizist habe eine Huldigungs-SMS an Strache geschrieben und sei zugleich ÖVP-Mitglied. Eine Nachschau in der ÖVP-Zentrale in der Schredder-Affäre sei von diesem Polizisten deshalb unterlassen worden, weil er angab, vom Chefberater von Sebastian Kurz beim Portier gesehen worden zu sein. Da habe eine Nachschau doch keinen Sinn mehr. Die Chronologie dieser Affäre habe ich in der aktuellen Falter-Ausgabe noch einmal akribisch aufgeschrieben. Es ist ein Sittenbild der Republik.
Die WKStA, das wird hier klar, will einen Kulturwandel erreichen, mehr Unabhängigkeit, mehr Freiheit. Alma Zadić, so hat es den Anschein, unterstützt die Behörde dabei. Die Frage ist, wie lange sich das die ÖVP noch gefallen lässt.
Heute, Mittwoch, ist jedenfalls die Soko Tape am Wort. Ich bin gespannt.
Ihr Florian Klenk
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