Aus dem Leben eines Kritikers - FALTER.maily #1045
Übermorgen erscheint die nächste Ausgabe der FALTER-Buchbeilage. Gerlinde Pölsler (Sachbuch), Kirstin Breitenfellner (Kinderbuch) und ...
haben Sie jemals vom Cevapcicifest gehört? Im Sandleitenhof verschenkte die SPÖ-Bezirksorganisation Ottakring 2018 Cevapcici und rote Stadtpolitiker hielten ihre Reden. Musik durfte natürlich auch nicht fehlen. Während die SPÖ die Cevapcici zahlte, übernahm der Verein "Wiener Kulturservice" die Gage für die Musik. So wie bei vielen anderen SPÖ-Veranstaltungen in Wien. Am meisten, nämlich 1,5 Millionen Euro, zahlte der "Wiener Kulturservice" 2019 beim Donauinselfest, das ebenfalls von der SPÖ veranstaltet wird. In diesem Jahr erhielt der Verein insgesamt 1,8 Millionen an Förderungen aus dem Kulturbudget der Stadt Wien. Nicht ganz zu Unrecht meint FPÖ-Gemeinderat Dietbert Kowarik dazu: "Das wäre genauso, wie wenn die FPÖ am Viktor-Adler-Markt eine Parteiveranstaltung hat, aber die Gage für die John-Otti-Band bezahlt nicht die FPÖ, sondern das lassen wir uns als Unterstützung heimischer Künstler von der Stadt Wien fördern."
Das und vieles mehr war Thema der Untersuchungskommission über etwaige Missstände "bei der Gewährung und Überprüfung der widmungsgemäßen Nutzung von Fördergeldern durch die Gemeinde Wien", der nun im Wiener Rathaus zu Ende geht. Dass diese von der FPÖ initiierte Untersuchungskommission kaum mediales Echo hatte, liegt wohl vor allem daran, dass zuerst Corona und nun der Ibiza-Untersuchungsausschuss im Nationalrat alle politischen Themen überdeckten (übrigens: wenn Sie beim Ibiza-U-Ausschuss wieder durchblicken wollen, empfehle ich Ihnen den ausführlichen Artikel "Ibiza für Anfänger" von Florian Klenk am Mittwoch im Falter).
Verglichen mit dem, was auf Ibiza passierte, ist die Wiener Kommission natürlich eine Zwergerlveranstaltung - aber eine, die man sich trotzdem ansehen sollte. Nicht nur, weil sich dort zeigt, wie mit Steuergeld der Wiener umgegangen wird. Etwa indem der ÖVP-nahe Verein "Modern Society" erst Förderungen der Stadt bezieht, um sich danach einen Stand beim von der ÖVP veranstalteten "Stadtfest" zu sichern. Auf diesem Stand trat wiederum der ÖVP-Nationalratsabgeordnete Wolfgang Gerstl als Detektiv verkleidet auf und warb um Wählerstimmen.
Die Untersuchungskommission zeigte aber auch, dass bei Transparenz und Kontrolle in der Stadt noch Luft nach oben ist. Im Gegensatz zu ihrem großen Bruder, dem Untersuchungsausschuss im Nationalrat, ist die Wiener UK völlig zahnlos. Die zu überprüfende Stelle, der Magistrat, entscheidet selbst, welche Unterlagen den Mitgliedern der Kommission übermittelt werden müssen. Bei der Zeugenbefragung können die Regierungsparteien die Opposition überstimmen. Genau das ist kürzlich passiert. FPÖ und Neos wollten noch Stadträtin Ulli Sima (sie war schon einmal als Zeugin vor der UK, hatte sich aber nicht von der Amtsverschwiegenheit entbinden lassen) und Bürgermeister Michael Ludwig laden. SPÖ und Grüne fanden hingegen, es sei bereits genug untersucht worden. Deshalb wird der Endbericht nicht, wie eigentlich geplant, im Herbst präsentiert. Sondern Ende Juni.
Die Rathausopposition fordert nun mehr Rechte bei Untersuchungskommissionen. FPÖ und Neos wollen, dass die Regelungen für diese Rathaus-Kommissionen an jene von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen angeglichen werden. Im Gespräch mit dem Falter erklärte der Wiener SPÖ-Gemeinderat und Fraktionsvorsitzende in der Untersuchungskommission, Stephan Auer-Stüger, dass seine Partei in dieser Frage durchaus gesprächsbereit sei.
Dann würde Wien nicht nur weiterhin in zahlreichen Rankings zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt. Sondern hätte vielleicht auch Chancen auf den Titel "Stadt der Transparenz".
Ihre Nina Horaczek
Im Falter Radio gibt es eine neue Folge von "Scheuba fragt nach". Diesmal spricht er mit Daniel Kehlmann. Der preisgekrönte Schriftsteller hat in New York Donald Trump und Corona erlebt. Er riskiert eine gewagte Prophezeiung zur amerikanischen Präsidentschaftswahl. Kehlmann sagt, er ist absolut sicher, wer gewinnen und wer verlieren wird. Doch hören Sie selbst! Über Österreich informierte er sich im fernen New York übrigens mittels Falter Radio. Wie immer gibt es die Folge auf falter.at/radio oder in Ihrer Podcast-App.
Kollege Klaus Nüchtern und Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl veranstalten wie Sie vielleicht wissen unter dem Titel "Tea for Three" literarische Kamingespräche. Zu Gast ist diesmal die Germanistin Susanne Hochreiter, die drei sprechen unter anderem über "Die Pest" von Albert Camus.
Donnerstag, 18. Juni, 19:30 Uhr, Hauptbücherei Wien (mehr dazu hier)
"Endlich können wir uns wieder beim Einkaufen aufs Maul schauen. Endlich wird die Welt wieder so, wie sie war. War sie je so, wie sie war?" Das fragt Herausgeber Armin Thurnher in seiner aktuellen Seuchenkolumne.
Alle bisherigen Seuchenkolumnen lesen Sie übrigens unter falter.at/seuchenkolumne.