Wer darf reden? - FALTER.maily #266

Florian Klenk
Versendet am 15.07.2020

vor zwei Jahren hatten der Schriftsteller Doron Rabinovici und ich eine kleine Idee. Wie wäre es, dachten wir, wenn wir die hässlichsten Reden jener europäischer Rechtspopulisten, die in Regierungsämtern sitzen, einfach auf Deutsch übersetzen und auf die Bühne bringen?

Die Gemeinsamkeiten ihrer Verschwörungsphantasien, ihre verlockende, (übrigens durchaus auch humorvolle) Sprache, ihre Brutalität gegenüber Minderheiten: all das könnte auf der Bühne zur Sprache gebracht werden. Vermessen wie wir waren, wünschten wir uns nicht irgendeine Bühne, sondern das Burgtheater. Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann war sofort angetan.

Doron Rabinovici machte sich daran, aus den Reden ein Stück zu kompilieren. Die Schauspielerinnen Petra Morzé, Stefanie Dvorak, Barbara Petritsch und Sabine Haupt lasen dem Publikum vor, was wieder gesagt werden darf. Als sie die Reden von Herbert Kickl, Viktor Orbán, Matteo Salvini oder Norbert Hofer vortrugen, ruhig, distanziert, ohne jede kabarettistische Einlage, versteifte sich das Publikum zusehends. Vor allem eine auf YouTube dokumentierte Hetzrede Kickls entsetzte das Publikum, so wie die Tweets des damaligen italienischen Innenministers Matteo Salvini, der den Baggereinsatz für Roma-Siedlungen anordnen ließ und zur Selbstjustiz aufrief.

Unser widerständiges Projekt fiel mir wieder ein, nachdem die Konzerne Twitter und Google bekannt gegeben hatten, die Accounts der Identitären Bewegung gelöscht zu haben. Hunderte gehässige Videos und Postings wurden ebenso beseitigt wie die digitale Präsenz des österreichischen Identitären-Chefs Martin Sellner. Facebook wiederum, so meldete die Agentur Bloomberg, denkt darüber nach politische Werbung vor der US-Wahl zu verbieten. Trumps Propaganda solle eingedrämmt werden.

Ich gebe zu, in einem ersten Reflex hat mich das gefreut. Mein Freund Doron meinte, es sei ein Zeichen von wehrhafter Demokratie, wenn Rechtsextremisten ihren Hass nicht mehr versprühen dürfen. So kann man das sehen. Der Comedian Sacha Baron Cohen hatte diese Sicht in dieser bemerkenswerten Rede auf den Punkt gebracht. Facebook hätte Goebbels Werbung schalten lassen.

Als Grundrechtsliberalen beschleichen mich dennoch Zweifel, ob wir als Gesellschaft die Frage, wer die globale Kommunikations-Infrastruktur benutzen darf, einfach so den CEOs der Silicon Valley-Monopolisten überlassen sollen. Was Sellner und seine Extremisten da auf YouTube posteten, das unterschied sich nicht maßgeblich von jenen Reden, die gewählte europäische Staatenlenker darboten. Strafbar war das Zeug jedenfalls nicht. Soll man ihnen dennoch das Wort verbieten? Und wenn ja, wieso dürfen dann Kickl, Salvini oder der türkische Despot Erdogan weiter auf YouTube senden?

Nein, das passt alles nicht zusammen. Die Social-Media-Giganten sind bei der Sperre der Identitären Bewegung willkürlich vorgegangen. Es geht ihnen in Zeiten von "Black Lives Matter" nicht um den Schutz der öffentlichen Arena, nicht um die liberale Demokratie, sondern um den Schutz ihrer Marke.

Das Geschäftsinteresse von Monopolisten kann aber nicht die Messlatte für die Redefreiheit sein. Wer den Anderen, ja auch den Extremisten, in der demokratischen Gesellschaft zum Schweigen bringen will, der braucht dafür nicht nur gute Gründe, sondern auch grundrechtskonforme Gesetze und einen transparenten, fairen Prozess vor unabhängigen Gerichten.

Doch genau hier versagen die Manager von Facebook, Google und Co. Wie die Medienanwältin Maria Windhager in einem exemplarischen Fall erkannt hat, erleben Opfer von Hate Speech kafkaeske Zustände, wenn sie sich gegen Extremismus und Hass wehren wollen. Sie müssen viel Geld und Zeit investieren, um zu ihrem Recht zu bekommen. Unsere Gerichte sind schwach, die Rechtslage ist mau, die Konzerne agieren kaltschnäuzig arrogant, so Windhager.

Warum dem so ist, ist leicht erklärt. YouTube, Facebook und Twitter leben von der Erregung, von der Polarisierung und dem Geschrei der Radikalen. Deren Erregung ist ein wichtiger Baustein für unsere Social-Media-Sucht, wie Adam Alter hier schreibt. Mit rechtsstaatlich gesinnten Behörden zusammen zu arbeiten stört also das Geschäftsmodell. Da ist der PR-Gag einer Sperre von ein paar rechten Accounts verschwitzter Wichtigtuer schon wirksamer.

Ihr Florian Klenk


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