Je suis SPÖ - FALTER.maily #1050
Bevor China die schlimmsten Seiten von Kommunismus und Kapitalismus zur Nationalphilosophie erhob, gab es dort einige interessante Denker. Huainanzi ...
wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. So heißt es beim Dichter, und an Gefahren mangelt es uns nicht. Ich nenne nur ein paar Kleinigkeiten: die EU, das öffentliche Gespräch, die Demokratie, die Klimakrise, der Weltfrieden. Als würde das nicht genügen, hat uns das Corona-Virus noch immer im Griff, und das Agieren der österreichischen Regierung, das zuerst stramm klang wie ein Befehl und gerade aussah wie eine Front, ist schon längst in das Stadium der Rückwärtsverteidigung übergegangen.
Rette sich, wer kann, lautete von Anfang an das Motto, und der Regierung war sofort klar, daraus folgte der Satz: folgt uns, koste es, was es wolle. Dies musste verstärkt gehört werden, also wurde den Medien geholfen, vor allem denen, die es nicht brauchen (oder von denen wir meinen, dass wir nicht brauchen, dass ihnen geholfen wird), den Boulevardmedien. Sie stützen die Regierung, koste es was es wolle.
Übrig blieben die kleineren, die lokalen, die redaktionellen Medien. Inhaltliche Kriterien konnten in der Eile nicht aufgestellt werden, die ergeben zuletzt nur eine schlechte Presse. Wie das alles endet, werden wir im Herbst sehen, heißt es. Anna Goldenberg hat einen Zwischenstand der Medienlage erhoben.
Nur für die Geschichtsbücher möchten wir festhalten, dass der Falter als unserer Kentnis nach einziges Medium im Land keine Kurzarbeit eingesetzt hat. Wird die Regierung je überprüfen, ob dieses schöne Instrument überall zweckentsprechend verwendet wurde?
Aus Salzburg kommen unerfreuliche Nachrichten. Die Rechercheplattform Addendum wurde nach nur drei Jahren eingestellt. Die finanzierende Stiftung von Milliardär Dietrich Mateschitz sah die Ziele nicht erreicht. Was diese waren, blieb unklar. Das ist schade, denn Rechercheplattformen, die sich auf das Sammeln wichtiger Informationen und Fakten konzentrieren, kann das Land nicht genug haben. Addendum sollte diesbezüglich wohl eine journalistische Signal- und Vorbildwirkung ausüben; seine Einstellung wird umgekehrt wirken: als fatales Signal. Wenn man einem so ehrgeizigen Projekt derart wenig Zeit einräumt, darf man sich über ein Scheitern nicht wundern (sieh auch Hinweise).
Guter Journalismus ist immer in Gefahr. Er braucht außer Geld vor allem Geduld und einen langen Atem. In sofortistisch gestimmten Zeiten knappe Güter.
In Gefahr ist seit längerem die SPÖ. Aus eigener Schuld, aber auch aufgrund der vorhandenen Mediensituation. Die Gefahr schien auszusehen wie Hans-Peter Doskozil; andere wiederum meinten, im Gegenteil trage das Rettende sein Antlitz. Nun schaut alles wieder anders aus. Der Commerzialbank-Skandal im Burgenland wird gerade unter Beteiligung von mit Regierungshilfe gekräftigten Medien aus einem ÖVP- in einen SPÖ-Skandal umgedeutet. Das Interview mit Doskozil, das Nina Horaczek und Barbara Tóth mit Doskozil führten, wird man mit Interesse lesen.
Zu retten ist alles, nicht zuletzt die Kultur. Die Klubkultur zum Beispiel, für die Wien in Europa und der Welt mehr geachtet ist als für seinen Fußball. Das mögen nicht alle wissen, aber wer es wissen will, kann sich mit Lukas Matzinger auf eine Entdeckungsreise in das von der Corona-Pleite schwer gefährdetes Reich begeben: ins derzeit nur im Nachtschatten existierende Wiener Nachtleben.
Auch wenn wir nicht immer Schönes berichten, bemühen wir uns, es wenigstens so gut wie möglich zu berichten. So kann das Schreckliche, um einen anderen Dichter zu paraphrasieren, vielleicht der Anfang eines Besseren werden.
Ihr Armin Thurnher
Nostalgische Fußnote zu Addendum: Noch im Mai haben wir den Podcast "Das vergessene Konzentrationslager" der Addendum-Reporter David Freudenthaler und Michael Mayrhofer im FALTER-Radio ausgestrahlt. Hier können Sie ihn nachhören, es war eine spannende Kooperation! Das wird uns fehlen!
Was FALTER-Kolumnistin Melisa Erkurt nicht fehlen würde, ist die Frage „Woher kommst du?“ Ihre Mutter floh mit ihr aus Bosnien, als sie noch ein Baby war. Obwohl sie alles, was sie kennt, aus Österreich kennt, genügt meist ein Blick auf ihren Namen, und die Frage folgt sogleich. Im FALTER lesen Sie diese Woche einen Vorabdruck von Melisa Erkurts Buch „Generation Haram. Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben.“ Das Buch erscheint am 17. August im Zsolnay Verlag, Sie können es hier vorbestellen.
Einen ebenso berührenden wie politisch interessanten Podcast stellt das Gespräch dar, das Raimund Löw mit Doron Rabinovici führte, der gerade in Tel Aviv den Nachlass seiner vergangenes Jahr verstorbenen Mutter sichtet.
Zuletzt darf der Hinweis in eigener Sache nicht fehlen: Ob Sie sich für Schnitten, kompetente virologische Informationen über die Corona-Pandemie, lyrische Exkurse oder saftige politische Polemik interessieren: In meiner Seuchenkolumne sind Sie richtig. Täglich neu, kann kostenlos abonniert werden. Könnten Sie ruhig machen.